Die Logik Nagarjunas empfinden viele als paradox. Doch das ist sie nicht, sie ist einfach nur korrekt. Was sie leider tut, das ist, dem allgemeinen Weltbild zu widersprechen. Doch das tut die Quantenmechanik auch. Also sind beide nicht paradox, sondern korrekt. Ein Paradoxon ist ein Befund, eine Aussage oder Erscheinung, die dem allgemein Erwarteten, der herrschenden Meinung oder Ähnlichem auf unerwartete Weise zuwiderläuft oder beim üblichen Verständnis der betroffenen Gegenstände bzw. Begriffe zu einem Widerspruch führt.

Wird jedoch so gedacht, wie auch die moderne Physik „denkt“, dann ist da kein Widerspruch zu finden. Aber von vorne. Das Denken steht in Anführungszeichen, denn niemand kann falsch denken, nur von den falschen Annahmen oder mit einer unzutreffenden Logik denken. Nagarjuna gilt ja als Philosoph der Leere, über die hat er aber kaum etwas gesagt. Wie auch? Was nicht ist, darüber kann nicht viel gesagt werden. Leerheit ist weder ein Ding noch etwas Festes, auf das man ein Gedankengebäude stützen könnte. Und eine Vorstellung von etwas, das nicht existiert, ist ein Widerspruch in sich.

Was er also sagen will, ist, dass alles Veränderungen unterworfen ist und nichts aus sich selbst heraus existiert. Was wir gerade beobachten, ist immer nur ein Punkt in einem Netzwerk vieler komplexer Ursachen. Also der PC, auf dem ich gerade tippe, existiert nicht aus sich selbst heraus. Und ich auch nicht. Nur etwas Absolutes würde sich nicht verändern, weil es seine Existenz autonom garantieren könnte. Aber das kann nicht einmal die Erde.

Die Schwierigkeit, über die Dinge zu denken und zu sprechen, wie sie tatsächlich sind, liegt darin, dass wir sie in der Regel als etwas real Existierendes ansehen – was sie aber nicht sind. Da irrte wohl auch Platon. Und auch Kant lag mit seinem „Ding an sich“ falsch.

Nagarjuna suchte zu zeigen, dass sich Erscheinungen nicht selbst erzeugen und keine absolute Existenz haben. Auch Bewusstsein, Begriffe und selbst Ich haben keine Existenz aus sich selbst. Hätte ich die, müsste ich ja mit meinen Eltern identisch sein, denn dann müsste ich ein Resultat einmal festliegender Ursachen sein. Habe ich aber individuelle Ursachen, kann ich kaum absolut sein.

Daher suchte Nagarjuna zu zeigen, dass die Erscheinungen weder nur eins sind noch etwas vollkommen verschiedenes. Wahrheiten sind Eigenschaften von Aussagen über die Wirklichkeit, deren Zutreffen oder Nicht-Zutreffen sich zeigen lässt – was sich prüfen lässt. Die konventionelle Wahrheit betrifft die Dinge, wie wir sie wahrnehmen. Wir sprechen also über unsere Lebenswelt. Diese Aussagen über die Dinge sind meist perspektivisch und relativ, worüber auch bei im Westen schon nachgedacht wurde.

Doch es gibt auch eine nicht-konventionelle Wahrheit – die Aussage über die Leerheit der Wirklichkeit. Offen ist, ob die Leere nur gedacht, sondern auch erfahren werden, indem die Erfahrung sich nicht auf die Form, sondern ihre Nichtform, also ihre reine Präsenz bezieht. ohne sie vollständig erfassen oder ausdrücken zu können. Nagarjuna geht es also um das Erfassen einer Realität ohne Form bevor wir sie einteilen mit Hilfe unserer Begriffe.

Solange wir nicht davon ausgehen, dass die Dinge und unser Bewusstsein „leer“ ist, sperren wir uns in die Welt des Wahrnehmbaren ein, ohne die Chance, die Dinge wirklich zu erkennen. Das ist sozusagen das Gefängnis der Begriffe, in das ich mich bisher selbst eingesperrt habe.

„Bevor Sie uneingeschränkt und richtig handeln können, müssen sie das Gefängnis wahrnehmen, in dem Sie leben, und erkennen, wie es zustande gekommen ist.“
Jiddu Krishnamurti