Das Leben konfrontiert uns immer wieder mit grundsätzlichen Fragen. Was man nicht mit den alltäglichen Herausforderungen verwechseln darf, die uns immer wieder begegnen. Wobei viele Menschen es jedoch gerne belassen. Sie gehen den grundsätzlichen Fragen des Lebens lieber aus dem Weg und verschließen die Augen davor.

Den Weg des Mystikers und Ch’an-Praktizierenden zu gehen heißt hingegen gezielt Antworten zu suchen auf die grundsätzlichen Fragen, denen wir im Leben immer wieder begegnen. Und die das Fahren mit dem Motorrad indirekt beantwortet. Indirekt, weil wir diese Fragen gar nicht stellen. Stellen wir sie doch, lassen wir das Motorrad vielleicht doch lieber stehen … .

Die Frage nach dem Tod

Um der Angst vor dem Tod auszuweichen, suchen viele Menschen entweder besonders oder überlegen zu sein, so wie jemand, der „die Dinge unter Kontrolle hat“. Wollen wir der Angst vor dem Tod wahrhaftig begegnen, müssen wir unsere Vorstellungen von uns selbst und vom Leben hinter uns lassen, damit das Leben selbst immer mehr Raum in uns gewinnen kann. Und genau das passiert auf dem Motorrad – ohne dass ich etwas dafür tun müsste. Fragen und Antworten sind sozusagen „systemimmanent“.

Wenn ich mit dem Motorrad unterwegs bin, ist die Tatsache nicht zu leugnen, dass ich verletzt werde oder sogar sterben könnte. Bereits in dem Moment, in dem ich anfange zu rollen, ist die Frage relevant. Das Entscheidende ist, welche Antwort ich darauf gebe.

Ich selbst bin mir der Gefahren und des Risikos sehr wohl bewusst und fahre daher immer mit „korrekter“ Kleidung. Ich tue alles, was ich tun kann, um das Risiko zu minimieren, bin mir aber bewusst, dass das Risiko bleibt. Deswegen ist meine Schutzkleidung das Eine, die eigentliche Antwort liegt aber darin, wie ich fahre. Ich kann etwa langsamer als möglich fahren, doch dann gehe ich der Frage nach dem Tod vielleicht noch aus dem Weg. Oder ich fahre bewusst schnell, um „den Stier bei den Hörner zu packen“ – was natürlich Blödsinn ist, denn das kaschiert die Thematik (oder Problematik) nur.

Also begegne ich (idealerweise) der Frage wahrhaftig und lasse mein „Ich“ sterben – natürlich nur in Gedanken, denn „ich“ sterbe dabei ja nicht. Und ich lasse alle Vorstellungen von dem, was sein könnte, hinter mir zurück; stelle mir also nichts vor, sondern sehe die Dinge wie sie eben sind. Aber eben keine Vorstellungen.

Die Frage nach der Freiheit

Die Menschen sehnen sich nach Freiheit und haben doch Angst vor ihr. Wer aber das Leben unmittelbar erfährt, erfährt Freiheit. Er wird frei von der Abhängigkeit von anderen Menschen, von ihren Urteilen und von ihren Erwartungen genauso wie er frei wird von der Bedeutung dessen, was ihm in seinem Leben begegnet. Den Weg der Bewusstheit und der inneren Stille zu gehen bedeutet ein Leben der inneren Freiheit des Denkens und Fühlens.

Es geht also nicht darum, etwas zu meistern, sondern alleine darum, das zu tun, was zu tun ist. Und exakt das tue ich, wenn ich Motorrad fahre. Ich komme ja nicht nach Hause und erzähle, was ich alles geschafft habe. Das Leben ist das Gewöhnliche, auch wenn es sich „besonders“ anfühlt, und wer sich darauf einlässt, ohne etwas Besonderes sein zu wollen, ohne sich über andere zu stellen, der ist wahrhaft frei.

Und exakt das passiert auf dem Motorrad, damit werde ich unmittelbar konfrontiert. Will ich mir oder anderen etwas beweisen?

Die Frage nach der Einheit

Es gibt zwei Arten von Einsamkeit. Die eine ist die äußere, die interpersonale, die andere ist die innere, die intrapersonale Isolation, die Unfähigkeit, die sich scheinbar widersprechenden Aspekte der eigenen Persönlichkeit in Beziehung zueinander zu bringen. Der Weg der Mystik und des Ch’an ist der Weg der Erfahrung des Einsseins, sowohl mit mir selbst wie mit anderen Menschen, eine Erfahrung, die auf dem Bewusstsein und dem Erleben der Einheit der psychischen Einheit basiert.

Auf dem Motorrad erfahre und erlebe ich diese Einheit unmittelbar. Ich kenne jemanden, der anderen immer etwas beweisen wollte. Es war so unmittelbar erkennbar, dass keiner sich traute, ihn darauf anzusprechen. Nur ich habe das einmal gemacht, aber nur einmal. Denn seither geht er mir aus dem Weg. Dafür habe ich aber gelernt, dass ich nicht immer sagen darf, was ich denke, auch unter Motorradfahrern nicht.

Die Konvention springt ja sofort an, sobald der Motor aus ist. Wenn ich mich auf dem Motorrad ganz in das Fahren fallen lassen kann, erfahre ich die Einheit mit dem Leben unmittelbar, dann erfahre ich mich auch mit mir selbst und mit allen anderen in Einklang, ohne die Polarität zu negieren, die jeglicher Dynamik und damit dem Leben selbst zugrunde liegt.

Die Frage nach dem Sinn

Der Weg der Mystik und des Ch’an zeigen mir einen Sinn, der über das eigene Leben hinausweist. Dieser Weg besteht nicht darin, etwas Besonderes zu erreichen, sondern alleine darin, das Leben unmittelbar erfahren zu wollen. Das Leben selbst zu erfahren ist der eigentliche Sinn unseres Lebens, gemäß dem Wort von Theresa von Ávila „Gott allein genügt“, wobei ich es nicht Gott, sondern Tao nennen würde.

Und exakt das erlebe ich beim Motorradfahren, und genau deshalb suche ich dann keinen weiteren Sinn mehr, das Fahren an sich offenbart mir den Sinn. Wenn ich mir dessen wirklich bewusst bin, erkenne ich auch, dass das Leben selbst der Sinn ist, den ich so oft suchte. Was nicht bedeutet, dass mein alltägliches Handeln sehr wohl Sinn macht, hat es doch unmittelbare Auswirkung auf alles um mich herum.