In und mit der Philosophie wird versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen. Ich denke, ausnahmslos jeder Mensch folgt nicht einer, sondern seiner Philosophie, auch wenn er oder sie sich überhaupt keine Gedanken darüber macht.

Im sogenannten westlichen Abendland hat Immanuel Kant die vielleicht grundlegendsten Spuren hinterlassen. „Sein“ kategorischer Imperativ ist das grundlegende Prinzip moralischen Handelns in seiner Philosophie. Als Kriterium, ob eine Handlung moralisch sei, wird hinterfragt, ob sie einer Maxime folgt, deren Gültigkeit für alle, jederzeit und ohne Ausnahme akzeptabel wäre, und ob alle betroffenen Personen nicht als bloßes Mittel zu einem anderen Zweck behandelt werden, sondern auch als Zweck an sich. 

Der kategorische Imperativ wird als Bestimmung des guten Willens von Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vorgestellt und in der Kritik der praktischen Vernunft ausführlich entwickelt. Er lautet in einer seiner Grundform: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. 

Die interessante Frage, die unter anderem auch Anton Zeilinger aufwirft, ist, ob Kants Philosophie nicht fortgeschrieben werden muss, angesichts dessen, was wir heute über die Welt wissen. Für Kant war klar, was Realität ist, nämlich das, was ist. Doch ist das so? Seit Heisenberg den Grundstein zur Quantentheorie – und -Philosophie – ist die Frage, was Realität überhaupt ist, vor allem, was sie ausmacht.

Normalerweise denken wir ja, die Natur sagt uns nicht, was wir tun sollen, das müssten wir schon selbst erledigen – siehe den kategorischen Imperativ. War es vielleicht so, dass gleichwohl die Natur Heisenberg indirekt dazu getrieben hat, der Frage nach Realität und Wirklichkeit nachzugehen? Es ging um die Frage des Verhaltens von Elektronen und Atomen. Als Wissenschaftler stellte er nicht deren Verhalten in Frage, sondern seine bisherigen Hypothesen.

Heisenberg, der auch eine philosophische Ausbildung hatte, kante die von Kant geprägten Debatten über die Natur der Wirklichkeit. Sein Schlüssel zur Erkenntnis war, dass er ein technisches in ein philosophisches Problem verwandelte, wobei er alles ausklammerte, was nicht überprüf bar war. Er versuchte nicht zu beschreiben, was passiert, sondern was er sehen konnte. Und er suchte eine Theorie, die das alles in Beziehung zueinander brachte.

Seine Theorie basierte also auf dem, was er beobachten konnte und nicht auf dem, was sein sollte. Genau das ist der Unterschied zum kategorischen Imperativ aus: Eine Theorie, wie ich meine Wirklichkeit gestalte – und nicht „nur“ gestalten sollte. Wir wissen heute, dass Wirklichkeit nicht etwas Existierendes ist, sondern immer wieder von Neuem gestaltet wird. Wie sagt doch Hubert Benoit: Ich selbst bin Darsteller, Regisseur und Autor meiner Wirklichkeit.

Also muss ich mich mit meinem Nachbarn zusammensetzten und mit ihm aushandeln – natürlich dialogisch! – was wir erleben wollen. Wir müssen also nicht darüber nachdenken, was wir jetzt machen können, sondern wie wir die Welt sehen wollen. Wie bei der Quantenüberlagerung können wir nur die Folgen sehen, nicht aber was in dem Kohärenzraum passiert.

Und genauso kann ich mich auch selbst verhalten. Sprechen wir über „Denken“, haben wir ja im Grunde genommen keine Ahnung, wie das überhaupt „funktioniert“. Wir wissen es einfach nicht. Was ich aber definitiv kann, das ist meine Zukunft planen, also wie ich mich verhalten will – und das mit dem anderen aushandle, also wie wir uns verhalten wollen – und nicht sollen oder sollten.

Es ist wie mit dem Elektronenstrahl in alten Fernsehgeräten. Wird ein Elektron erzeugt, sagt mir die Theorie, wo es ankommen wird. Nur was ist es dazwischen. Eine Welle? Und da taucht die entscheidende Frage auf: Was ist die Beziehung zwischen der Welle und dem Elektron, wenn es auf dem Bildschirm auftrifft? Das ist, was Schrödinger mit seiner Katze demonstrieren wollte, dass das nicht sein kann.

Zwischen Erzeugung und Beobachtung befindet sich das Elektron (und die Katze) also in einer Superposition, das heißt, wir dürfen nicht davon ausgehen, dass unser Handlungsgedanke genau den Erfolg hat, den wir wollen, sondern wir haben nur eine Wahrscheinlichkeit, dass es so passiert. Unsere Absicht ist wie ein Pfeil, den wir abschießen, doch was dann passiert, liegt nicht mehr in unserer Hand. Kommt eine Windböe, war’s das mit dem Treffer.

Gehe ich – wie Nagarjuna – davon aus dass es keine Dinge im Sinne von Essenzen gibt, sondern nur Beziehungen, dass also alles, was ich beobachten kann, nur Beziehungen sind, dann liege ich ziemlich richtig – wie die Quantenphysik bestätigt. In der westlichen Philosophie ist es schwierig, ein gutes Begriffsschema für das Denken der Quantenphysik zu finden, um verständlich zu beschreiben, wie sich die Dinge zueinander verhalten.

Wenn wir fragen, was ein Ding sei, ist die einzige richtige Antwort: Nichts! Eine Sache (oder ein Mensch) wird nur über seine Beziehungen erlebbar. Ich erlebe immer nur Beziehungen – nichts sonst. Erlebe ich keine Beziehungen, ist da auch nichts. Erinnern Sie sich an Einsteins Frage, ob der Mond da wäre, wenn keiner hinschaut? Das wollte er wissen, ob das mit der Leere stimmt.

Nagarjuna sagt nicht, dass es nichts gibt, sondern dass man ein Ding – und erst recht einen Menschen – nur dann verstehen kann, wenn sie in Beziehung zu dem gesehen werden, was sie umgibt. Das bedeutet letztlich, dass es keine innere und keine äußere Perspektive gibt. Es gibt also keine erste und dritte Person, denkt man darüber nach, was Realität ist. Sobald ich über etwas nachdenke, denke ich über mich selbst nach.

Also macht es keinen Sinn, die Realität, meine Gedanken und meine Gefühle als getrennte Dinge anzusehen. Die Welt besteht aus der Wechselwirkung zwischen den Dingen, und das Gleiche gilt für mich selbst. Ich existiere durch und in der Interaktion mit der Außenwelt. Mit anderen Worten: Es gibt nichts Objektives. Also suche ich das Miteinander zu gestalten und nicht meine Position zu verteidigen.

Obwohl, die hier dargestellte schon.