Weg der Wirklichkeit

Schlagwort: Résumé

Warum erlebe ich all das?

Es sieht so aus, zumindest wirkt es so auf mich, als wären wir Menschen die einzigen Wesen, zumindest auf dieser Welt, die nicht nur bewusst leben und die sich der eigenen Existenz bewusst sind, das tun andere auch, sondern sich des gesamten Universums bewusst geworden sind, zumindest mehr und mehr Wissen darüber angesammelt haben. Und natürlich auch über sich selbst.

Oder empfinden das andere Lebewesen unbewusst auch, einfach aus sich selbst heraus? Ich weiß es nicht. Jedenfalls scheint es so zu sein, dass wir Menschen uns Stück für Stück der Welt und damit unserer selbst bewusst zu werden suchen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass darin kein Sinn liegt, ein immanenter Sinn. Es ist müßig, mich zu fragen, was das für ein Sinn ist, so müßig wie zu denken, ich könnte wissen, was Achtsamkeit oder Bewusstheit sind.

Aber der Sinn ist da, nur geht es nicht um Wissen, sondern um die Erkenntnis meiner Existenz. Aber vielleicht brauchen wir all das Wissen über das Universum und über uns nur, um wieder zurückzufinden zu dem Eigentlichen, sozusagen ein mittlerweile notwenig gewordener Umweg?

Das erstrebenswerte Denken durch NichtDenken braucht definitiv Ausrichtung, Achtsamkeit, Konzentration und Ernsthaftigkeit. Wenn ich meine Hunde oder die Tiere, die ich in meinem Leben schon hatte oder mich der Pferde und der Kühe erinnere, denen ich schon begegnet bin, dann stelle ich fest, dass die offensichtlich schon immer in genau dem ausgerichteten, achtsamen, konzentriert und ernsthaften im Sinne von vollkommen gegenwärtigem Zustand sind, den wir Menschen ganz offensichtlich verloren haben!

Ich bewundere immer die Ernsthaftigkeit, das „Ganz-bei-sich-sein“, mit der sich mein Hund freuen oder sich streicheln lassen konnte. Also ganz bei mir sein. Mehr braucht es nicht!

Die Ordnung des Tao

Kennen Sie den Film Der Letzte Samurai? Ein Film, der mich sehr bewegt hat. Ich lasse nur in Gedanken das kriegerische Gemetzel weg und ersetze es mit einem Vorgehen nach den Prinzipien des Aikidō. Aber sonst bin ich ganz bei dem Film.

Er macht die drei Ebenen des Dao-Li (Ordnungen des Dao [oder Tao]) grundsätzlich deutlich, wenn auch nicht unmittelbar, sondern eher indirekt.

Man übt, Jing (Essenz) zu Qi zu machen;
Man übt, Qi zu Shen (Achtsamkeit) zu machen;
Man übt, Shen (Achtsamkeit) zu Xu (leer) zu machen.

Das ist der Kern, die Basis, der allem Tun und allen Entscheidungen zugrunde liegt. Ich nenne das Shén-Do – den Weg der Bewusstheit. Man übt es, um die menschliche Geistesanlage zu verändern, um wieder in Kontakt mit der eigentliche, eigenen (!) Wahrheit zu erlangen.

Diese Gedanke kommt aus einer anderen Kultur, einer anderen Weltanschauung. Vielen fällt es schwer, der Essenz das eigene Sein zu sehen und dass die eigene Energie fließt, die die Achtsamkeit hervorbringt, die „leer“ sind, also ohne Vorstellungen, ohne Konzepte, ohne Gedanken.

Dabei ist das identisch mit dem, wie die moderne Wissenschaft die Welt mehr und mehr zu sehen beginnt. Lässt man sich ernsthaft darauf ein, ist erkennbar, dass es so ist. Und es ist auch identisch mit dem, wenn ich mich auf das wirklich einlasse, was ich tue.

Etwa, wenn ich schreibe. Wenn ich nicht einfach Losscheibe, sondern sehr aufmerksam an das Schreiben herangehe, dann merke ich, wie ich innerlich meine Energie sammle, konzentriere, bevor ich mit schreiben beginne.

Diese erste „Station“, das Sammeln der Essenz kann ich nicht beschreiben, es ist wie Bewusstsein unbeschreiblich, ich kann es nur an seinen unmittelbaren Folgen erkennen und wahrnehmen – wenn ich aufmerksam bin. Doch ohne Achtsamkeit ist es fahl, leicht abzulenken und zu irritieren.

Bin ich jedoch wirklich achtsam, dann entwickelt sich daraus eine enorme Kraft, abhängig davon, wie vollkommen ich mich darauf einlasse – was wieder mein geistiges Energiepotential steigen lässt. Passiert mir das auf dem Motorrad, fahre ich schneller und schneller, aber auch besser und besser.

Ich schieße dabei interessanterweise nie über das Ziel des mir Möglichen hinaus, weil ich sozusagen in Xu „lande“. Da Xu leer ist, also ohne Gedanken und Absichten und ohne etwas beweisen zu wollen, ist darin auch nichts Falsches, nur das Mögliche. Allein mein Verstand bremst mich dann (hoffentlich) wieder auf die vorgegebene Geschwindigkeit ein.

Zurück zu dem Film: Er zeigt, wie gesagt indirekt, das „Ergebnis“ des Zusammenspiels von Essenz, Qi, Achtsamkeit und Xu (Leere), vor allem aber zeigt er, wie Menschen dort hinkommen können: Durch Ausrichtung, Achtsamkeit, Konzentration und Ernsthaftigkeit.

Es ist wie bei mir selbst: Wenn mein Schreibtisch „in Ordnung“ ist und vor allem auch, wenn ich selbst geordnet bin, eine unverzichtbare Conditio-sine-qua-non, also in mir selbst gesammelt, gelingt mir nicht etwa, was ich will (denn dann will ich nicht mehr), aber das mir Mögliche ist dann aktiv, ohne dass ich irgendetwas „wollen“ müsste.

Danke, es geht mir gut!

Meine Antwort, wenn mich jemand fragt. Doch warum ist das so? Eine wirklich gute Frage! Vielleicht, weil ich mich nicht in mein Schicksal gefügt, sondern mein Leben so wie es ist angenommen habe?

Jean Klein schreibt dazu in „Nichts als Gegenwart“Uns selbst als eigenständiges Wesen zu sehen, als Individuum, ist der grundlegende Irrtum unserer Konditionierung. Dieser bruchstückhafte Standpunkt macht das Verstehen zu einer Unmöglichkeit. Es ist ein fiktives Konzept … .“

Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen. Nein, ich bin kein Individuum, kein Einzelwesen. Das zu denken und zu glauben hat wohl alle meine bisherigen Probleme ausgelöst, zumindest die meisten. Ich bin zwar anders als andere, schließlich wohne ich ja auf dem Seltsamplatz.

Ich mache auch nicht, was vielleicht meine Nachbarn machen, aber ein Individuum, nein, das bin ich nicht und ich empfinde das – dem Himmel sei Dank! – auch nicht mehr so. Obwohl, vielleicht sollte ich besser sagen, dass ich mir das nicht mehr einbilde, denn eine Empfindung kann es eigentlich nicht sein. Aber egal.

Ich bin anders als andere, aber ich bin kein Individuum. Jedenfalls sehe ich mich nicht als solches. Zwar anders als andere, aber trotzdem gleich. Ich existiere definitiv nicht aus mir selbst heraus, sondern ich existiere nur, weil alles andere auch existiert.

Das zu erkennen macht mir frei der zu sein, der ich bin – und nicht etwa, dass ich lassen kann, was ich will. Folge ich dem Gedanken von Huang-Po und folge dem, was mir begegnet, dann geht es mir gut:

Wenn alles Innere wie Äußere, Körperliche wie Geistige aufgegeben wird, wenn, wie in der Leere, keine Bindungen zurückbleiben, wenn jede Handlung allein von Ort und Umständen diktiert wird, wenn Subjekt und Objekt vergessen sind – das ist die  höchste Form des Loslassens.“
Huang-Po

Ich muss nicht mehr wissen, wer oder was ich bin, es genügt, wenn ich weiß, dass mein Platz in der Welt da ist, wo ich bin und dass es allein darum geht, wie ich mich zu dem in Beziehung setze, was ist – nichts sonst.

Innerlich still sein

Aus alter Gewohnheit wollte ich als Überschrift für diesen Text Zur inneren Stille finden schreiben, merkte dann aber, dass genau darin die Blockade sitzt. Entweder, ich bin bewusst – oder ich bin es nicht. Das funktioniert ganz ähnlich wie ein Lichtschalter: Schalter an, Licht an. Schalter aus, Licht aus. Nicht anders ist es mit Bewusstheit.

Entweder – oder. Dazwischen gibt es nichts. „Eigentlich“ weiß ich das schon lange aus eigener Erfahrung. In sogenannten Flow-Situationen erlebe ich es immer wieder. Ich agiere entsprechend meines Wissen optimal, bin dabei vollkommen bewusst, aber innerlich absolut still. Ich weiß, sobald ich einen Gedanken im Kopf habe, dem ich dann nachhänge, bin ich nicht mehr voll bewusst, sondern abgelenkt.

Je nach vermeintlicher Wichtigkeit des Gedankens ein wenig oder auch total. Die entscheidende Frage ist, wie ich diesen Gedanken „Wenn man den Zweck dazu benutzt hat, um Zweckfreiheit zu erreichen, dann hat man das Wesentliche begriffen.“ von Lü Yen umsetzen kann. Ich will also denken, um nicht zu denken.

Also nutze ich Affirmationen, Gedanken, um einer Aussage, einer Situation oder einer Handlung eine positive Einordnung zu geben. So gebe ich meinem Unterbewusstsein die Richtung vor, jedoch ohne wie sonst zu denken.

Wissen, was zu vergessen ist

Natürlich ist mein eigentliches Ziel etwas anderes, nämlich durch NichtDenken zu denken. Wie ich schon an dem Beispiel der heruntergefallenen Weinflasche darzustellen versuchte, muss ich erst das Falsche erkennen, um es sein zu lassen.

Und ich darf mich auch nicht in „positive“ Ziele verlieren und das vorhandene Negative ausblenden. Das gelingt mir nur, wenn ich beides sehe, das Ziel, das es zu erreichen gilt und das, was es zu lassen gilt.

Das bedeutet, dass ich meine Scheuklappen ablegen muss. Die sind nämlich nur dann gut, wenn ich will (oder andere wollen), dass ich funktioniere. NichtDenken bedeutet nicht, dass ich das Denken lassen soll, sondern alleine das Denken in Begriffen. Wie sagt doch Hui-neng? „Das wirkliche Nicht-Denken besteht darin, an alle Dinge zu denken, ohne sich von ihnen infizieren zu lassen.

Genau darum geht es.

Bewusst leben

Mein Körper, mein Geist und mein Selbstverständnis oder GEIST (um nicht von Seele zu sprechen) sind unterschiedliche Aspekte meiner Existenz, die ich nicht getrennt betrachten darf, denn sie bedingen sich, sind untrennbar Eins, wenn auch nicht so ohne weiteres als Eines erfahr- und erlebbar.

Doch das ist der Idealzustand, den viele Menschen erst einmal nicht erleben. Vielleicht ist das so, weil der (angeblich) moderne Mensch anders als es bei indigenen Völkern der Fall zu sein scheint, sich des Ursprungs seiner selbst nicht mehr bewusst ist. Ihm fehlt eine ausgeprägte ethnisch-kulturelle Identität als Gemeinschaft mit eigenen soziopolitischen und kulturellen Traditionen – im Bewusstsein der Einheit des Sein.

Mit anderen Worten: Er sucht sich selbst zu definieren. Er stolpert zwar über existenzielle Krisen beruflicher, körperlicher, geistiger oder emotionaler Art, merkt aber selten, dass ihm etwas und vor allem nicht, was ihm fehlt. Jedenfalls bei mir war es so. Tiere und kleine Kinder wissen instinktiv darum, worum es geht, weshalb wir uns auch meist gut mit ihnen verstehen. Sie regeln uns regelrecht herunter, sofern wir nicht einem illusorischen Anspruch genügen wollen und viele Dinge unter einen Hut bringen wollen, darunter aber keinen Platz mehr für uns selbst haben.

Oft ist es eine Krise, die uns aus der Bahn wirft, wie Nikolaus Gerdes in seinem Artikel Der Sturz aus der normalen Wirklichkeit und die Suche nach Sinn treffend beschreibt. Doch zu Beginn ist es nicht einfach, die innere emotionale Hürde zu überwinden, denn wir fühlen uns in Frage gestellt; dabei sind wir selbst es, die uns in Frage stellen. Nur wir projizieren das auf andere und sehen nicht, dass wir mit uns selbst hadern, nämlich mit unseren Ansprüchen an uns selbst.

Und genau das zeigt Gerdes in seinem Artikel auf. Er schreibt: „Unsere gesamte Sicht der Wirklichkeit ‐ all das, was wir alltäglicher weise in ganz unbefangener Selbstverständlichkeit als objektive Wirklichkeit der Welt, der anderen Menschen und des eigenen Selbst wahrnehmen ‐, ist eine gesellschaftliche Konstruktion und nicht etwa eine Naturtatsache.

Mit anderen Worten: Unser alltägliches Wirklichkeitsverständnis ist ein bestimmtes, sozial erzeugtes und abgesichertes Bild der Wirklichkeit, das auch ganz anders aussehen könnte (und in anderen Gesellschaften faktisch anders aussieht!) und auch das, was wir für unsere eigene persönliche Identität, unser „Ich “ also, halten, ist eine soziale Konstruktion: Ein von anderen erzeugtes ‐ und von uns übernommenes ‐ Bild des eigenen Wesens.

In den Bildern der Welt und des eigenen Selbst sind wir alltäglicherweise so befangen, dass wir diese sozial vorfabrizierten Bilder der Wirklichkeit für die Wirklichkeit selbst halten.“

Was ich also als „Ich“ ansehe, bin nicht wirklich ich, sondern ein von anderen und von mir übernommenes Bild von mir selbst. Aber es dauert eine ganz Weile – jedenfalls bei mir war es so – bis man sich aus dieser Haltung lösen kann. Bevor man kein Bild von sich selbst hat, kann man das alte nur schwer loslassen, auch wenn wie wie Erich Kästner sagt, es sich ganz ungeniert lebt, ist der Ruf erst einmal ruiniert.

Doch wer sind wir, wenn wir kein Image (mehr) von uns selbst haben? Ein Niemand? Offensichtlich fällt es uns schwer, ohne zu leben. Aber das ist eigentliche „Problem“. Ein Problem ist aber nur solange eins, solange wir den Grund für diese Unwissenheit nicht kennen – denn das ist es, definitiv. Schlichte Unwissenheit über die Wirklichkeit. Mit anderen Worten: Ich lebte bisher eine Illusion von mir selbst.

Doch um diese Illusion beenden zu können, brauche ich ganz offensichtlich Wissen. Denn falsche Annahmen und Überzeugungen kann ich allein durch Wissen auslöschen und damit beenden. Doch das gelingt mir nur, wenn ich erkenne, wie ich diese Illusion, dieses unzutreffende Wirklichkeitsverständnis identitätsbildend stabilisiere und gegen vermeintliche Angriffe abschirme.

Es geht nämlich nicht um mich, sondern um – mindestens – die Welt. Daher sollte ich schleunigst damit aufhören, nur mich zu sehen, sondern in mir die Menschheit, jedoch ohne dabei Allmachtsfantasieen zu erliegen.