Weg der Wirklichkeit

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Einsicht

Das wirft die elementare Frage auf, nicht was Wirklichkeit ist, sondern weshalb ich nicht wieder aus dem Fliegenglas der unzutreffenden Überzeugungen herauskam, sosehr ich mich auch bemüht habe. Wahrscheinlich habe ich es wie die Fliegen gemacht und habe das Licht gesucht, statt dass ich erkannt hätte, was mich zu den irrigen Ansichten über Wirklichkeit gebracht hat und weshalb ich den Weg hinaus bisher nicht finden konnte.

Eines muss ich ganz klar festhalten: Das, was mich dazu gebracht hat, auf irrige Ansichten hereinzufallen und sie in mein Denken aufzunehmen, das war meine eigene Verführbarkeit! Wobei ich betonen möchte, ich spreche über mich, mich hat niemand gezwungen, zu glauben, was ich glaubte. Das war meine freie Entscheidung, was es vielleicht auch so schwer macht, sich das einzugestehen.

Ich liebe Ritter-Sport-Schokolade: Quadratisch, praktisch, gut. Genau das galt lange Zeit auch für mein Denken, und genau das machte mich verführbar. Aber es war nicht die Einfachheit, sondern die Süße, die mich verführte. Ich studierte Jura und hörte mit Physik auf, weil es einfach und praktisch war – vor allem einfach. Es „schmeckte“ mir. Dass das auch gut war, erschien mir nur so. Doch so ist nun einmal, Einsichten können auch weh tun.

Beim Motorradfahren diszipliniere ich mich nicht, sondern halte ich mich ganz einfach an die Gesetzmäßigkeiten. Sofern sie die Fahrdynamik betreffen, ist das für recht einfach zu verstehen (da machen sich die sechs Semester Physikstudium dann doch bezahlt), doch weit aus schwieriger ist es, dass dann auch wirklich zu tun!

Wie gesagt, mich mental zu disziplinieren funktioniert definitiv nicht, ich muss mich daran halten können. Da ich ein pragmatischer Mensch bin, ist mir bewusst, dass sich Körper und Geist bestimmen. Und beides spiegelt sich in meiner Haltung wieder.

Haltung

Es war einmal ein Suchender.

Er suchte nach einer Lösung für sein Problem, konnte sie aber nicht finden. Er suchte immer heftiger, immer verbissener, immer schneller und fand sie doch nirgends. 

Die Lösung ihrerseits war inzwischen schon ganz außer Atem. Es gelang ihr einfach nicht, den Suchenden einzuholen, bei dem Tempo, mit dem er hin und her raste, ohne auch nur einmal zu verschnaufen oder sich umzusehen. 

Eines Tages brach der Suchende mutlos zusammen, setzte sich auf einen Stein, legte den Kopf in die Hände und wollte sich eine Weile ausruhen. 

Die Lösung, die schon gar nicht mehr daran geglaubt hatte, dass der Suchende einmal anhalten würde, stolperte mit voller Wucht über ihn! Und er fing auf, was da so plötzlich über ihn hereinbrach und entdeckte erstaunt, dass er seine Lösung in Händen hielt.

So erging es auch mir selbst. Ich musste einfach nur bereit sein, einmal innezuhalten und brauchte nur zu erkennen, was ist. Das war alles. Ich brauchte mich nur umzudrehen, um den Weg zurück zu finden:

Lass dich ein, statt dass du verstehen willst.
Lass dich auslegen, statt dass du etwas auslegst.
Lass dich ergreifen von dem, was ist, statt dass du etwas bewirken willst.

Wie ich lebe – und natürlich auch, wie ich Motorrad fahre – hat mit meiner inneren geistig-mentalen Haltung zu tun, und nicht mit methodischen Konzepten, die ich kenne. Was ich davon jedoch verinnerlicht habe, das wiederum macht meine Haltung aus, macht also das aus, was als mein „ich“ in Aktion tritt.

Wichtig war und ist die Erkenntnis, dass mir nichts fehlt, sondern ich alles habe, was ich brauche. Ich muss nur Unnötiges und Überflüssiges weglassen, sonst klappt es nicht – genau wie beim Motorradfahren.

Darüber hinaus hilft mir das Thema Motorradfahren, nicht in Spekulationen abzudriften und immer auf dem Teppich des Realen zu bleiben. Geht es nicht im ganz alltäglichen Leben letztlich auch nur darum, Freude zu empfinden – und dabei immer eine Handbreit Abstand zum Asphalt zu behalten?

Daher halte ich mich an diesen Gedanken von Shunryu Suzuki: „Wir sollten nicht an ausgefallenen Ideen oder schönen Dingen festhalten. Wir sollten nicht nach etwas Gutem suchen. Die Wahrheit ist immer in deiner Nähe, in deiner Reichweite.

Erkenntnis

Meine Intuition sagt mir, dass Wittgensteins Fliegenglas-Metapher der mentalen Situation im Kontext „Motorradfahren“ sehr nahekommt. Weshalb funktioniert für manche oder vielleicht viele mit dem Motorrad die Flucht aus der Wirklichkeit? Oder ist es genau umgekehrt und die Faszination, die von dem Fahren mit dem Motorrad zeigt uns den Weg zur Wirklichkeit, ganz pragmatisch und direkt?

Haben wir uns mit einer gedanklichen Illusion derart arrangiert, dass wir sie für die Wirklichkeit halten? Und zeigt uns das Motorradfahren hingegen, wie die Wirklichkeit tatsächlich beschaffen ist? Ist es also keine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern der Weg aus der Illusion in die Wirklichkeit?

Und genau das ist meine Überzeugung. Wenn meine Überzeugungen mit empirisch belegtem Wissen im Widerstreit stehen, dann suche ich nicht nach Sinn, sondern wiege mich in einem Wahn. Diese Schlussfolgerung stammt übrigens von Sabine Hossenfelder aus ihrem Buch „Mehr als nur Atome“, ein Satz, dem ich absolut zustimme.

Im Umkehrschluss bedeutet das, denke und handle ich im Einklang mit empirisch belegtem Wissen, bewege ich mich in dem Bereich, den ich als wirklich gegeben ansehen kann. Wenn ich mich beim Motorradfahren in der Wirklichkeit befinde und bewege, denn da bewege ich mich im Einklang mit empirisch belegtem Wissen, dann ist das ein eindeutiges Muster für ein Leben in der Wirklichkeit.

Und ein klarer Hinweis darauf, dass, habe ich dieses Gefühl von innerer Stimmigkeit und Einklang nicht, befinde ich mich nicht in der Wirklichkeit, sondern in einer Illusion, einem Wahn. Das ist die bittere Erkenntnis, die es zu machen gilt, wenn man mit dem Motorrad noch in eine vermeintlich andere Wirklichkeit eintaucht.

Dabei ist das die unverstellte Wirklichkeit, und nichts anderes!

Erfahrungen

Mit dem Motorradfahren stellten sich unmittelbar verschieden Erfahrungen oder Einsichten in mein – oder das? – Leben ein.

Da war erst einmal die Erfahrung, dass ich nur dann meinen Fähigkeiten entsprechend fahren konnte, wenn Körper und Geist und vielleicht auch die Seele in Einklang miteinander waren. 

Dann kam die Erfahrung, dass das Ziel bedeutungslos wurde und stattdessen der Weg in das Zentrum der Aufmerksamkeit kam.

Die nächste Erfahrung war, dass das aber meine geistig-mentale Haltung nicht etwa „ausschaltete“, meine Grundtendenz im Leben (wie die der anderen Fahrer) blieb weiterhin erlebbar.

Ich erfuhr auch, wenn ich kurz vorher psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, dass das Körper und Geist derart in Aufruhr bringen konnte, dass ich nicht mehr gut fahren konnte.

Die nächste Erfahrung erschreckte mich regelrecht. Wenn ich mit einer Gruppe von guten Fahrern (mit Fahrerinnen war ich noch nie, komisch) unterwegs war, mussten ja alle – so meine eigene Erfahrung, in einem flowartigen Zustand unterwegs sein.

Nur den Flow schalteten sie regelrecht gleichzeitig mit dem Motor ab und waren in der Regel, jedenfalls die meisten, sofort wieder in dem normalen, oberflächlichen und unverbindlichen Smalltalk-Modus, den wohl viele Menschen als „normal“ empfinden.

Der Einklang von Körper, Geist und Seele wurde regelrecht abgeschaltet. Interessant auch, dass kaum über die Gefühle während des Fahrens gesprochen wurde, meist wurde die Technik reflektiert oder die Landschaft, die gesehen wurde.

Erfahrungen, die für mich allesamt Fragen aufwerfen. Was steckt da für eine Dynamik dahinter? Diesen Fragen will ich hier nachgehen. Denn ich vermute, dass hier ein grundsätzliches Thema deutlich werden könnte – und damit vielleicht eine Antwort auf diese Fragen, die natürlich nicht Motorräder, sondern uns Menschen Betreffen, eine Antwort, die vielleicht unsere Situation verändert.

Ich bin mir sicher, dass sich darin etwas sehr Grundsätzliches zeigt. Und das will ich herausfinden. Denn wenn es so ist, steht uns Menschen das tatsächlich im Weg – oder es könnte uns den Weg zeigen. Eine intuitive Ahnung habe ich schon, ich denke nämlich, dass das ein geistiges Phänomen ist.

Der Weg

Die Wirklichkeit prägt mich und zugleich erschaffe ich sie. Individuelle und kollektive Gedanken, Ereignisse, Erfindungen, Theorien oder Ideologien beeinflussen sich gegenseitig.

Das zu wissen ist das eine, es konkret zu erfahren und zu erkennen, das ist das andere. Dazu bedarf e neben dem Wissen, den Weg der Praxis. Doch es braucht noch wesentlich mehr, nämlich Erfahrung, Erkenntnis, Einsicht, Haltung – und die daraus folgende Konsequenz.

Darüber schreibe ich hier.

Ein Zufall brachte mich mit 65 zum Motorrad fahren. Motorrad zu fahren hat ja viel mit Physik zu tun. Anders als beim Denken kann ich ihr beim Fahren nicht aus dem Weg gehen, sie ist ganz einfach unbestechlich. Und das in zweierlei Hinsicht:

Einmal in Bezug auf die Fahrdynamik und dann auf das, was die obere Hälfte des Motorrades tut oder auch tun sollte, aber nicht immer macht – also ich. Über die Fahrdynamik informiert mich die klassische Physik, über mich interessanter Weise, wenn auch indirekt, die Quantenmechanik.

Ich bestehe ja wie alles andere auch aus nichts anderem als aus Atomen. Also gelten für mich die identischen Gesetzmäßigkeiten. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir, dass diese Gesetzmäßigkeiten in allem das Zepter in der Hand haben. Also auch bei dem, was ich mache – oder eben nicht. Aber ignorieren? Unmöglich.

Entweder, ich folge dem freiwillig – oder ich werde mehr oder weniger sanft gezwungen. Wie beim Motorradfahren! Nur bekomme ich es da wesentlich unmittelbarer zu spüren, weil ich der Konfrontation mit mir selbst (!) einfach nicht ausweichen kann. Was ich gerade denke, wirkt sich unmittelbar auf die Art und Weise aus, wie ich fahre.

Im Alltag merke ich erst einmal nicht, was ich „eigentlich“ tue, es ist mir in der Regel nicht unmittelbar bewusst. Zwar ist mir die Handlung als solche bewusst, nicht aber, was sie auslöst. Nur diese Tatsache zu leugnen zeugt nicht von Bewusstheit. Den Weg will ich jedoch gehen!