Weg der Wirklichkeit

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Shén-Do

Der Geist des Shén-Do,
des Weges der Bewusstheit.
dargestellt an der Struktur der Yoga-Sutra
Samâdhi Pada von Patanjali

Im unmittelbaren Gewahrsein des Augenblicks beginnt der Weg vollkommener Bewusstheit. Bin ich vollkommen bewusst, erlöschen falsches Denken, falsche Wahrnehmung und unzutreffende Vorstellungen von der Welt.

In der vollkommenen Bewusstheit tritt der ursprüngliche Geist zutage, das ursprüngliche Wesen. Bin ich nicht-bewusst, bestimmen Konditionierungen, Fixierungen, gedankliche Konstrukte  und Identifizierungen meine Wahrnehmung, mein Denken und mein Handeln.

Falsche Wahrnehmung und falsches Denken führen zu Anhaftungen an die Phänomene (Körper, Wahrnehmung, Empfindung, Absicht, Bewusstsein), die sowohl leidvoll wie auch angenehm sein können. Das führt zu falschem Denken, falsches Denken zu einem unzutreffenden Verständnis der Wirklichkeit, ein unzutreffendes Verständnis der Wirklichkeit führt zu Leiden.

Unmittelbare Wahrnehmung führt zur Erkenntnis, Erkenntnis führt zur Einsicht, Einsicht führt zu tiefem Verstehen, tiefes Verstehen führt zu umfassendem Einverstandensein, Einverstandensein führt zum Einssein in Allem.

Unzutreffende Wahrnehmung, falsches Denken und Anhaftungen erzeugen die Illusion eines Ich, das zur Verleugnung des wahren Wesens, zur Selbstverleugnung führt. Annahmen über die Wirklichkeit, die ihren Ursprung nicht in Tatsachen, sondern in  gedanklichen Vorstellungen haben, erzeugen eine Illusion von Wirklichkeit.

Nicht-Bewusstheit ist eine Folge des mit sich selbst beschäftigten Denkens, das der Vorstellung eines aus sich selbst heraus existierenden Ich’s entspringt. Im Anhaften an Vergangenes bleibt es gegenwärtig und bestimmt meine Wahrnehmung, mein Denken und Handeln und damit mein Sein in der Welt.

Alles Leid, das ich erfahre, findet darin seine Ursache. In Beharrlichkeit und Gleichmut gegangen ist der Weg jedoch weder leicht noch schwer. Habe ich mich wahrhaftig für den Weg entschieden und bin ich bereit, meine Vorstellung von einem ich aufzugeben und mich aus allen Anhaftungen zu lösen, kann mich nichts mehr aufhalten.

Gelassenheit entsteht im Nicht-Anhaften. Im Bewusstsein des ursprünglichen Wesens erlischt alles Begehren und Anhaften. Zur Erfahrung der Einheit des Seins und zur vollkommenen Bewusstheit finde ich, wenn Erkenntnis und Einsicht sich zu tiefem Verstehen verdichten und ich dies zur Grundlage meines Lebens mache.

Im Versenken in den eigenen Geist tritt das ursprüngliche Wesen hervor. Dazu muss ich bereit sein, mich ganz aufzugeben. Der Weg wird sichtbar, indem ich ihn gehe, ist doch der Weg das Ziel der Praxis. Die Wahrheit ist ein pfadloses Land, sie ist in keiner Lehre und keiner Schrift enthalten, alles sind nur Hilfen, die mir den Weg zeigen, um zur eigenen Erfahrung zu finden.

Der ursprüngliche Geist (Leerheit) ist stets rein, unberührt, ungeboren und ohne Raum und Zeit. Jegliche Form entspringt der Leere und kehrt dorthin zurück. In der meditativen Stille der Gedanken und dem durch Kontemplation offenen Bewusstsein erfahre ich die Leere, den Urgrund des Seins.

In der meditativen Lebenshaltung versenke ich mich im eignen Geist, im Zutage treten des ursprünglichen Geistes  erfahre ich die Wirklichkeit an sich und alle Anhaftungen, alle Konditionierungen, Fixierungen und gedanklichen Vorstellungen  und damit erlischt alles Falsche in diesem Moment.

Das Einzige, das wirklich zu tun ist, ist die Vorstellung des aus sich selbst heraus existierenden Ich aufzugeben und Eins zu sein in Allem. Die notwendige Klärung des Geistes geschieht, indem ich die Gesetzmäßigkeiten zur Grundlage des Denkens mache und mein Handeln an den Prinzipien ausrichte.

Dazu ist es notwendig, dass ich alle Phänomene meiner Existenz, Körper, Wahrnehmung, Empfindung, Bewusstsein und Absichten in eine Haltung bringe, die in Harmonie mit dem Tao ist. Der erwachte Geist ist ohne Raum und Zeit, reines Bewusstsein. Hafte ich nichts an, bin ich innerlich frei, dann ist mein Bewusstsein leer und enthält so alles, was ist. So erlange ich vollkommene Bewusstheit, in der es kein »Ich« mehr gibt.

Befreie ich mich konsequent von jeglicher Vorstellung, erlange ich vollkommene Bewusstheit, ich sehe keine Dinge mehr, alles ist nur noch eine Bewegung in meinem Bewusstsein. Dann ist die Welt noch immer die Selbe für mich, nicht jedoch die Gleiche, dann erkenne ich in der Leere die Form und in der Form die Leere. 

Gebe ich das Wissen auch darüber auf, dann nenne ich das vollkommenes Vergessen, eins sein mit dem Kosmos.

Worum es geht

Es gibt kein Ch’an, wenn ich es nicht Ch’an nenne. Nichts hat eine Eigenschaft, wenn es nicht in Beziehung zu etwas anderem steht.

Die Wirklichkeit prägt uns und zugleich erschaffen wir sie. Individuelle und kollektive Gedanken, Ereignisse, Erfindungen, Theorien oder Ideologien beeinflussen sich gegenseitig. Die Welt ist pluralistisch – und doch ist sie ein Ganzes. Das Motto eines wahren Pluralismus ist: Einer für Alle und Alle für Einen.

Leider führen Pluralismus, Diversität und Unterschiedlichkeit auch zu Ängsten, Misstrauen, Konkurrenz und Machtansprüchen. Diese negativen Begleiterscheinungen des Pluralismus würden abgeschwächt oder sogar verschwinden, wenn wir wahrhaftig verständen, dass wir uns alle gegenseitig brauchen, dass alles mit allem verknüpft ist.

„Du bist etwas, das das ganze Universum tut,
genauso wie eine Welle etwas ist,
das der ganze Ozean tut … “
Alan Watts

Das gilt es zu erkennen und zu begreifen, also anzunehmen. Damit beginnt es. Doch das ist noch nicht das Ende. Erst einmal muss ich die Regeln kennen, die für dieses Spiel des Lebens gelten, damit ich es spielen kann – und nicht nur Taubenschach spiele.

Das, wozu ich einladen möchte, lässt sich so formulieren:

„Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum.
Wenn viele gemeinsam träumen,
ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“
Hélder Pessoa Câmara