Ein Begriff, der sehr gut beschreibt, worum es mir geht. Meine Kultur ist die Gesamtheit meiner geistigen und vor allem meiner gestaltenden Haltungen. Und ich sage bewusst „meiner“, denn die kann niemand sonst haben, das ist absolut meins – und vor allem meine Verantwortung dem Leben gegenüber.

Was ich unter „Bewusstseinskultur“ verstehe ist sprachlich sehr schwer zu vermitteln. Das erst Mal habe ich es bewusst erlebt, als ich einmal einem Kalb gegenüberstand und mit einem Mal das Wesen des Tieres wirklich wahrnahm. Ich esse zwar immer noch Fleisch, aber anders, mir ist bewusst, dass da ein Tier dafür sterben musste, damit ich mich ernähren kann.

Wenn ich über den Bildschirm in den Garten schaue, sehe ich jetzt in der Pfingstzeit eine Rosenblüte im Garten – bewusst. Es macht einen Unterschied, ob ich die Vögel im Garten sehe, sie beobachte oder sie in ihrem Wesen wahrnehme – wie die Rosenblüte.

Die Flut immer neuer empirischer Daten und all der Informationen, die regelrecht auf mich einprasseln verlangt, dass ich mich darin ethisch und moralisch orientieren kann, was ich aber nur dann kann, wenn ich meinen Standpunkt kenne. 

Das erzwingt regelrecht eine rationale Revision meiner kulturell und lebensweltlich verankerten Begriffe von Subjektivität und Selbstbewusstsein, von Personalität, Zurechenbarkeit und moralischer Vernunft. Früher bin ich anderen Philosophen oder Denkern gefolgt, was nicht falsch ist, jedoch nur eine Übergangsphase, bis ich mich selbst positionieren und meinen eigenen Standpunkt einnehmen konnte.

Dass es dabei vor allem um das Zusammenleben zwischen uns Menschen geht, das hat mir das Motorradfahren vermittelt. Wahrscheinlich, weil hier ganz offensichtlich ist, dass die äußere und die innere Welt tatsächlich eins sind, viele Menschen aber nicht in der Lage sind zu sehen, dass wir zwar sehen können, was jemand macht, jedoch nicht, weshalb sie oder er es macht.

Viele denken ja, sie sprechen über Tatsachen, doch tatsächlich sprechen sie über ihre Interpretationen, als könnten sie wissen, was in einem anderen Menschen vorgeht. Das hat mir sehr, sehr deutlich gemacht, dass ich nicht einmal sagen kann, warum ich mache, was ich eben mache. „Erklären“ kann ich mein Tun allenfalls oberflächlich, aber was die tatsächlichen Auslöser für mein Verhalten sind, das kann ich nur erahnen, denn das entzieht sich meinem Bewusstsein.

Gestern fragte mich ein Bekannter, warum ich so ernst sei. Ich wusste es nicht; doch mir wurde erst einmal meine eigene Stimmung überhaupt bewusst.Darüber hinaus habe ich mich in eine nichtssagende Bemerkung geflüchtet, denn es war mir einfach nicht bewusst. Wirklich bewusst sind mir ja nur meine Empfindungen, die sich nicht wirklich ausdrücken lassen, nur ansatzweise.

Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass ich mein Verhalten nicht bewusst unter Kontrolle haben kann. Aber ich kann meine Haltung kultivieren, eben durch die Kultur meines Bewusstseins. Doch worauf kann ich mein Bewusstsein gründen? Denn bewusst kann mir ja nur werden, was ich erkannt habe. Das ist zum einen eine klar strukturierte Denkweise, die sich an dem orientiert, was ist und nicht an meinen Interpretationen.

Dabei kommt mir die moderne Physik zur Hilfe, erklärt sie doch die Struktur der Wirklichkeit. So wie es auch mein Motorrad macht. Physik ist nun einmal unbestechlich, was sie beschreibt, ist so, keine Interpretationen möglich. Nur ist Physik eben nicht mehr nur die klassische Physik, die ich noch in der Schule gelernt habe, sondern auch ihre mystische Seite, die Quantenmechanik.

Wir wissen heute, dass Materie und Energie nur zwei Seiten der einen Wirklichkeit sind, genauso wie das, was wir Raum nennen, tatsächlich vom Gravitationsfeld der Dinge abhängt. Die Dinge schaffen also den Raum, in dem sie sich vermeintlich befinden. Ähnlich ist es mit der Zeit, denn die Bewegung der Dinge „macht“ die Zeit.

Auf der Beschreibung der untersten, tiefsten Ebene, der Quantenphysik, spielt Zeit keine Rolle, sie ist – schwer vorstellbar – reversibel, also umkehrbar. Wir können nicht wirklich bewusst leben können, wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Auch unsere philosophischen Gedanken haben davon auszugehen, sollen sie stimmig sein.

Ich kann keine stimmige Überlegung über mich, andere oder die Welt haben, ignoriere oder blende ich diese Tatsachen aus. Da aber wirklich niemand mehr alles verfügbare Wissen kennt, unser Wissen (aber nicht die Wirklichkeit!) fragmentiert ist, brauche ich gedankliche Überlegungen, die die einzelnen Wissensinseln wieder zu einem Ganzen machen.

Durch die Kultur des Bewusstseins bilde ich den Rahmen, der meine Wissensfragmente wieder als Ganzes erfahrbar macht. Weil ich weiß, dass ich nicht alles weiß, trägt mich diese Kultur bestmöglich über meine Wissenslücken. Nicht, dass das sie ausfüllen könnte, aber ich falle in keine Realitätslöcher oder -Fallen mehr.