Motorradfahren erinnert sehr an das, was unter Lebenskunst verstanden wird. Und es fühlt sich auch so an, jedenfalls meistens. Was also mache ich auf dem Motorrad?

Genau genommen mache ich nichts bewusst, sondern das, was ich mache, lasse ich geschehen. Ich weiß, das klingt komisch, ist aber so. Je besser ich etwas kann, mit desto weniger bewusster Überlegung mache ich es. Mein Potential, also mein fahrerisches Können, kann ich erst dann maximal einsetzen, wenn ich nicht mehr darüber nachdenken muss, es also nicht mehr bewusst tue, sondern es geschehen lasse.

Es geht also um zwei Zustände, die sich ergänzen und bedingen, doch nie gemeinsam existieren: Entweder, ich tue oder ich lasse (geschehen). Wobei man das Geschehen-Lassen keinesfalls mit einer fatalistischen Haltung verwechselt werden darf, in der eine Person die Dinge laufen lässt. Und damit ist auch keine resignative Haltung gemeint, ich mich aufgegeben hätte.

Bin ich etwa krank, dann überlasse ich es nicht dem Schicksal, was passiert, sondern tue alles, was notwendig ist – um es dann geschehen zu lassen. Denn gesund zu werden liegt nicht in meiner Macht, das habe ich definitiv nicht unter Kontrolle, aber ich kann die Rahmenbedingungen schaffen, die die Wahrscheinlichkeit der Gesundung erhöhen.

Aber eben nur die Wahrscheinlichkeit und keine Kontrolle. Der letzte Schritt zur Gesundung ist also das Vertrauen in „meinen“ Organismus, dem ich eben nicht mit Mißtrauen oder einer Erwartungshaltung im Weg stehen darf. Was ich kann, ob gesund werden, gemocht werden oder Motorrad fahren, all das kann ich weder durch aktives noch durch planendes Tun willkürlich und direkt erreichen.

Einfluss habe ich nur auf die innere Organisation meiner Gedanken, aber nicht auf das, was ich konkret denke und was ich letztlich tue. Diese Organisation hat – wie beim Motorradfahren – erst einmal eine theoretische Dimension sowie dann eine tatsächliche. Implizites und explizites Wissen müssen also nicht identisch sein – und sind es auch oft nicht.

Das wiederum merke ich in der meditativen Versenkung, in der gedanklichen Reflexion und der Bewusstheit sowie dem absolut ehrlichen Umgang mit mir selbst, jedoch nicht durch Emotionen ausgeschmückt. Erst in der Stille sehe ich, was wirklich ist. Wie sagt doch Huang-po? „Du siehst den Einen Geist stets vor dir, doch sobald du über ihn nachdenkst, verfällst du dem Irrtum.“

Was aber nicht bedeutet, dass es nicht auch sinnvoll ist, über etwas nachzudenken, etwa über die Art und Weise, wie ich eine Kurve ideal fahre. Da bekomme ich zwar mit der Zeit auch so heraus, wenn ich jedoch mein physikalisches Wissen (sofern vorhanden) dafür nutzen kann, umso besser. Dann geht es schneller. Ich kürze den Weg des Erfahrungswerte Sammelns ab, indem ich die Erfahrungen und Erkenntnisse anderer nutze.

Aber theoretisch ginge es auch ohne das, nur eben langwieriger. Was beispielsweise die Ch’an Menschen gezeigt haben, die die gleichen Erkenntnisse über Wirklichkeit gemacht haben wie später die Quantenmechaniker. Oder Motorradfahrer, die keine Ahnung von Physik haben, aber exzellent fahren können.

Das findet wohl auch Hui-neng, wenn er sagt, dass „die Behauptung unsinnig ist, wir könnten ohne Lehrer keine Erleuchtung finden. Die Weisheit ist angeboren, und wir können uns alle selbst erleuchten.

Doch das setzt voraus, dass ich mich nicht als etwas von allem anderen Getrenntes erlebe, sondern als Ausdruck des Einen, das zwar differenziert, aber nicht fragmentiert ist. Wenn ich das wirklich sehe, wird mir oder ist mir auch bewusst, dass es „meinen“ Organismus nicht gibt. Ich Wir lebe nicht in meinem Körper, mein Körper lebt und stirbt in mir. Genau das sagen auch die Ch’an Meister.

Also höre ich auf zu suchen und sehe statt dessen, was ich bin. Geist. Geist, der sich gerade überlegt, ob er nicht eine Runde Motorradfahren gehen soll.