Mein Körper, mein Geist und mein Selbstverständnis oder GEIST (um nicht von Seele zu sprechen) sind unterschiedliche Aspekte meiner Existenz, die ich nicht getrennt betrachten darf, denn sie bedingen sich, sind untrennbar Eins, wenn auch nicht so ohne weiteres als Eines erfahr- und erlebbar.

Doch das ist der Idealzustand, den viele Menschen erst einmal nicht erleben. Vielleicht ist das so, weil der (angeblich) moderne Mensch anders als es bei indigenen Völkern der Fall zu sein scheint, sich des Ursprungs seiner selbst nicht mehr bewusst ist. Ihm fehlt eine ausgeprägte ethnisch-kulturelle Identität als Gemeinschaft mit eigenen soziopolitischen und kulturellen Traditionen – im Bewusstsein der Einheit des Sein.

Mit anderen Worten: Er sucht sich selbst zu definieren. Er stolpert zwar über existenzielle Krisen beruflicher, körperlicher, geistiger oder emotionaler Art, merkt aber selten, dass ihm etwas und vor allem nicht, was ihm fehlt. Jedenfalls bei mir war es so. Tiere und kleine Kinder wissen instinktiv darum, worum es geht, weshalb wir uns auch meist gut mit ihnen verstehen. Sie regeln uns regelrecht herunter, sofern wir nicht einem illusorischen Anspruch genügen wollen und viele Dinge unter einen Hut bringen wollen, darunter aber keinen Platz mehr für uns selbst haben.

Oft ist es eine Krise, die uns aus der Bahn wirft, wie Nikolaus Gerdes in seinem Artikel Der Sturz aus der normalen Wirklichkeit und die Suche nach Sinn treffend beschreibt. Doch zu Beginn ist es nicht einfach, die innere emotionale Hürde zu überwinden, denn wir fühlen uns in Frage gestellt; dabei sind wir selbst es, die uns in Frage stellen. Nur wir projizieren das auf andere und sehen nicht, dass wir mit uns selbst hadern, nämlich mit unseren Ansprüchen an uns selbst.

Und genau das zeigt Gerdes in seinem Artikel auf. Er schreibt: „Unsere gesamte Sicht der Wirklichkeit ‐ all das, was wir alltäglicher weise in ganz unbefangener Selbstverständlichkeit als objektive Wirklichkeit der Welt, der anderen Menschen und des eigenen Selbst wahrnehmen ‐, ist eine gesellschaftliche Konstruktion und nicht etwa eine Naturtatsache.

Mit anderen Worten: Unser alltägliches Wirklichkeitsverständnis ist ein bestimmtes, sozial erzeugtes und abgesichertes Bild der Wirklichkeit, das auch ganz anders aussehen könnte (und in anderen Gesellschaften faktisch anders aussieht!) und auch das, was wir für unsere eigene persönliche Identität, unser „Ich “ also, halten, ist eine soziale Konstruktion: Ein von anderen erzeugtes ‐ und von uns übernommenes ‐ Bild des eigenen Wesens.

In den Bildern der Welt und des eigenen Selbst sind wir alltäglicherweise so befangen, dass wir diese sozial vorfabrizierten Bilder der Wirklichkeit für die Wirklichkeit selbst halten.“

Was ich also als „Ich“ ansehe, bin nicht wirklich ich, sondern ein von anderen und von mir übernommenes Bild von mir selbst. Aber es dauert eine ganz Weile – jedenfalls bei mir war es so – bis man sich aus dieser Haltung lösen kann. Bevor man kein Bild von sich selbst hat, kann man das alte nur schwer loslassen, auch wenn wie wie Erich Kästner sagt, es sich ganz ungeniert lebt, ist der Ruf erst einmal ruiniert.

Doch wer sind wir, wenn wir kein Image (mehr) von uns selbst haben? Ein Niemand? Offensichtlich fällt es uns schwer, ohne zu leben. Aber das ist eigentliche „Problem“. Ein Problem ist aber nur solange eins, solange wir den Grund für diese Unwissenheit nicht kennen – denn das ist es, definitiv. Schlichte Unwissenheit über die Wirklichkeit. Mit anderen Worten: Ich lebte bisher eine Illusion von mir selbst.

Doch um diese Illusion beenden zu können, brauche ich ganz offensichtlich Wissen. Denn falsche Annahmen und Überzeugungen kann ich allein durch Wissen auslöschen und damit beenden. Doch das gelingt mir nur, wenn ich erkenne, wie ich diese Illusion, dieses unzutreffende Wirklichkeitsverständnis identitätsbildend stabilisiere und gegen vermeintliche Angriffe abschirme.

Es geht nämlich nicht um mich, sondern um – mindestens – die Welt. Daher sollte ich schleunigst damit aufhören, nur mich zu sehen, sondern in mir die Menschheit, jedoch ohne dabei Allmachtsfantasieen zu erliegen.