Weg der Wirklichkeit

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Und ich?

Was habe ich mit all diesem physikalischen Wissen zu tun zu tun? Eine nicht leicht zu beantwortende Frage, wenn überhaupt. Es beginnt mit der Frage, worum es mir geht: Bin ich auf Spurensuche und suche mich weiterzuentwickeln, oder geht es mir um Geschichten, die ich am Lagerfeuer erzählen kann, die mir aber nicht sagen, was Sache ist, mich allenfalls etwas vermuten oder annehmen lassen, ähnlich wie Sciencefiction.

Wobei die moderne Wissenschaft, vor allem die Quantenmechanik, teilweise erst einmal eher nach Sciencefiction als nach ernsthafter Wissenschaft klingt. Doch das tut sie nur, wenn wir noch zu sehr in unsrem bisherigen Weltbild verhaftet sind. Dann sind ja unsere Denkstrukturen noch entsprechend. Solange aber fällt es uns schwer, uns auf das Unbekannte einzulassen. Unbekanntes trifft es wohl besser als Neues.

Also ich bin es, der die Welt betrachtet, wobei ich das nicht von außen, sondern nur von innen tun kann. Frage ich mich, wie die Welt „funktioniert“, frage ich mich im Grunde, wie ich selbst „funktioniere“. Dass ich aus nichts anderes bestehe wie alles andere auch, ist nun einmal so, und ich habe die selben (und nicht etwa nur die gleichen!) Ur-Ur-Ur-Ur-Ur … Ur-Ahnen wie ein Schmetterling, ein Baum, eine Katze, ein Vogel oder was da sonst noch alles existiert.

Je mehr wir das Universum erforschen, desto kleiner wird unsere Bedeutung. Woher weiß ich, ob es in dieser Vielzahl von Galaxien nicht andere, intelligente Wesen wie uns gibt? Wobei die Frage berechtigt ist, ob wir Menschen intelligenter als alles andere sind. Wahrscheinlich nur eine Frage der Perspektive.

Nahm Kant noch an, dass der Raum unserer Anschauung und die Mechanik, wie sie Newton beschrieb, unabhängig von unserer Erfahrung wären. Ist das mit den Erkenntnissen der Quantenmechanik nicht mehr haltbar. Die von der jeweiligen Beziehung geprägten und bedingten Erfahrungen sind für den Raum des Wirklichen ganz wesentlich. Kinder wissen das intuitiv, Erwachsene eigentlich auch, nur sie ignorieren das gerne. Oder sie ignorieren es lieber, denn das ist nicht kompatibel mit ihrem Weltbild.

Die wichtige Frage ist, wie frei wir eigentlich in unseren Entscheidungen sind, wenn doch alles den Naturgesetzen folgt. Doch betrachte ich die genauer, dann sehe ich, dass in der Welt der Quantenmechanik nichts vorherbestimmt ist. Zwar folgt alles Prinzipien, doch die bestimmen nicht, was auf A folgt. Das kann B sein, aber auch C oder F. Entscheidend ist die innere mentale Struktur des Entscheiders.

Wie ich mich entscheide, das ist bedingt durch mein Wissen. Ein Beispiel: Jemand kann mich beleidigen, doch ob ich mich darüber ärgere, das ist eine Frage meiner inneren Einstellung. Und die hängt davon ab, wie reflektiert ich bin. Also entscheide ich nicht nach Gusto, sondern nach meinem implizitem Wissen. Explizites Wissen ist dafür nutzlos.

Was ich als „meine“ Werte und „meine“ Moral ansehe, ist nichts anderes, als mein implizites Wissen. Deswegen denke ich auch, dass Kants Betrachtungen stimmig sind – jedoch nur, wenn man Newtons Weltbild als korrekt unterstellt. Denn das ist Kants Basis. Doch die ist nun einmal überholt.

Wichtig ist, dass wir selbst integraler Bestandteil der Natur sind und nichts Außenstehendes. Das bedeutet, dass das, was wir über die elementaren Teilchen lernen über uns selbst lernen. Neugier gehört offensichtlich dazu – sonst gäbe es auch keine Evolution.

Vergangenheit und Zukunft

Das zu erleben hat interessanterweise mehr mit Wärme als mit Zeit zu tun. Wärme fließt normalerweise von warm zu kalt, das heißt, die Atome sind im Zustand „Warm“ in schneller Bewegung und geben Energie an die „kalten“ Atome ab, die sich dann schneller bewegen.

Es ist also nicht die energetische Bewegung als solche, die die Veränderung ausmacht, sondern der energetische Austausch. Findet kein Austausch von Wärme statt, bleibt alles wie es ist, sind Vergangenheit und Zukunft ohne Unterschied; es fließt keine Zeit.

Das wesentliche Phänomen, das die Zukunft von der Vergangenheit unterscheidet, ist das Fließen der Wärme von warm nach kalt. Wie ich darauf komme? Kam ich nicht, sondern Carlo Rovelli, Quantenphysiker.

Ist zwar verrückt, was die so feststellen, doch das zu ignorieren wäre ernsthaft verrückt. Aber warum fließt die Wärme dann zum Kalten und nicht das Kalte zur Wärme? Das hat Ludwig Bolzmann herausgefunden. Er hatte die Idee, dass Zufall da eine Rolle spielt und brachte die Wahrscheinlichkeit ins Spiel.

Die Fließrichtung von warm zu kalt ist kein Gesetz, sondern sie ist so „nur“ aufgrund hoher Wahrscheinlichkeit. Das hielten seine Kollegen für so absurd, dass er sich vielleicht deswegen umbrachte. Aber seine Idee war korrekt. Und damit kommt die Zeit mit ins Spiel, denn sie spielt tatsächlich keine Rolle.

Einstein stellte fest, dass Zeit das ist, was man an der Uhr abliest, es also Zeit, so wie wir sie normalerweise verstehen, nicht gibt. Wir sprechen zwar von „Gegenwart“ und was es darin gibt, existiert für uns, „Vergangenheit“ jedoch existiert nicht (mehr) und Zukunft existiert (noch) nicht. Interessant ist, dass in der Physik nie von „Jetzt“ die Rede ist.

„Jetzt“ kann jeder nur selbst erleben. Vielleicht sollte ich nur im Zusammenhang mit „hier“ von „jetzt“ sprechen, also meiner Position und meiner Zeit, ganz im See von Einsteins Relativitätstheorie, denn Zeit ist definitiv relativ, also abhängig von dem Ort, von dem aus etwas festgestellt wird.

Sage ich „ich bin hier“, dann sage ich es von einem anderen Ort aus, als ein anderer meine Worte hören kann. Es gibt demnach weder ein gemeinsam erfahrbares „Jetzt“ und auch kein „hier“. Darüber sollten wir uns klar werden, reden wir über „die“ Welt.

Es gibt also „Ihre“ und „meine“ Welt, die nicht identisch sind – aber die Regeln dafür sind es! Das wirft eine interessante Frage auf, ob etwas auch für Sie existiert, nur weil ich es für mich existiert, da ich es wahrnehme? Sind also die Dinge subjektiv, weil sie ja nur subjektiv wahrgenommen werden können?

Eine zwar verrückt klingende, aber berechtigte Frage, ist doch der Begriff „Gegenwart“ subjektiv, wie die Relativitätstheorie gezeigt hat. Zu glauben, dass es eine gemeinsame Gegenwart gibt, ist definitiv eine Illusion. Und falls Ihr Selbstverständnis zu wanken beginnt, meines liegt schon am Boden – um wie ein Phönix aus seiner Asche neu zu entstehen.

Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart sind also keine realen Größen, sondern relativ und subjektiv. Ok, akzeptiert – nur was bedeutet das für mich? Es beginnt damit, sprechen wir über Gegenwart, wir immer nur von statistischen Mittelwerten sprechen. Und mein Weltbild wird ziemlich brüchig, wenn ich bedenke, dass es einen Zeitfluß nur in meiner Vorstellung gibt.

Was mich also an mein Zeitverständnis kettet, ist meine Unwissenheit. Was ich daran erkennen kann, dass mein Zeitempfinden sehr real ist – aber nur für mich. Die Frage ist also, was läßt mich scheinbar Zeit empfinden? Eine offene Frage für uns Menschen, aber nicht für die Natur.

Es hat scheinbar etwas mit erlebbarer (!!) Veränderung zu tun. Irgendwie har das was mit Wäre zu tun, denn Wärme fließt – im Gegensatz zur Zeit. Interessante Frage: Erzeugt der Fluß von (innerer?) Wärme ein Zeitgefühl in mir?

Wenn ich dem einmal nachspüre, könnte da etwas dran sein. Vielleicht die Entmystifizierung der Zeit?

Unbewusstes Bewusstsein

So, wie mir Intuition einen Hinweis darauf gibt, was ich – unbewusst – weiß (und nicht nur vermute), so macht mir mein Hunger meine Existenz bewusst. Auch das, was ich fühle und empfinde, Traurigkeit, Ängste, Mitgefühl oder Freude, all das macht mir etwas bewusst.

Die positiven wie negativen Schwankungen in meinem Leben entspringen nicht äußeren Umständen, sondern dem ursprünglichen Bewusstsein für meine Existenz und meine Möglichkeiten. Dabei kann ich die Existenz als solche nicht bewusst wahrnehmen, sondern allein im Bewusstsein der Veränderung kann ich sie erkennen.

Hafte ich diesen Veränderungen und den entsprechenden Zuständen an, etwa dass ich gesund werden will, wenn ich krank bin, oder mein Alter negiere, dann kann ich nicht wahrnehmen, was dahinter steht. Nur wenn ich die eine wie die andere Seite gleichmütig (!) wahrnehme, lösen sie sich auf und geben die Sicht auf das Dahinterliegende frei.

Es ist der Glaube an die Veränderung, die mich von mir selbst trennt, verändert sich doch das nicht, was dahinter sichtbar wird. Freude und Trauer, Leben und Tod sind in Bezug auf das Dahinterstehende vollkommen gleich. Wenn ich die Veränderung als Bewegung des ursprünglichen Zustandes erkenne und nicht mehr das eine oder andere will, sondern geschehen lasse, was geschieht, kommt wahre Freude auf.

Meine Gefühle wie auch meine Gedanken tauchen unabhängig von mir in mir auf, was letztlich bedeutet, dass ich auch nicht willentlich handeln kann. Allein durch Bewusstheit gestalte ich mein Leben, vorausgesetzt, ich habe aufgehört, etwas zu wollen.

Es ist zu Beginn nicht so einfach, sich darauf einzulassen, nichts zu wollen und „nur“ bewusst zu sein. In meiner Vorstellung ist Bewusstsein der Schlüssel zu dem, was sein kann und was ist. Wasser ist nicht aus sich heraus Wasser, sondern entstand im Bewusstsein von Wasser- und Sauerstoff, Wasser bilden zu können.

Mit der mechanischen Sichtweise nicht vorstellbar, doch wie soll es anders gewesen sein? So heilt auch mein Körper nicht, weil er oder ich es will, sondern weil die Bewusstheit für die Möglichkeit der Heilung da war oder ist. Alles, was notwendig ist, ist da, es muss nur die Bewusstheit dafür hergestellt werden, denn das ist die Ursache dafür, dass etwas passiert.

So wird mir mit der Zeit bewusst, dass ich selbst mich in Vorstellungen und Annahmen über das Leben eingesperrt habe. Insofern werde ich frei und ungebunden, um das Leben geschehen zu lassen. Um mich selbst befreien zu können, brauche ich nichts anderes als Bewusstheit für das, was ist.

Kosmische Architektur

Die Struktur des Makrokosmos lässt sich relativ leicht vorstellen, man kann es, zwar mit optischen Hilfsmitteln, aber eben sehen. Und man kann sich ein Modell davon machen. Doch die Entdeckung der kosmischen Struktur fing immer mit einer Vision Einzelner an.

Ich darf ja nicht vergessen, dass Wissenschaft immer erst mit einer Vision beginnt. Eben einer Vorstellung. Erkenntnis speist sich aus der Gabe, Dinge vor meinem inneren Auge anders sehen zu können, als ich sie bislang gesehen habe.

Und wenn ich früher Mitschülerinnen oder den männlichen Pendants die Relativitätstheorie erklären wollte, brauchte ich immer nur einen Stift und ein Blatt Papier. Die Schwierigkeit, Quantenmechanik zu verstehen, liegt für mich darin, dass ich mir sie nur schwer vorstellen kann. Ich habe dafür kein gedankliches Bild. Aber es wird. Oder habe ich schon längst eins, nur dass das schwierig ist mit der Welt in Einklang zu bringen, so wie ich sie vielleicht (noch) sehe?

Die Relativitätstheorie ist da wesentlich leichter zu verstehen, denn die kann ich mit Zeichnungen einigermaßen darstellen – aber Quantenmechanik? Als Einstein intuitiv erkannte, dass Licht aus Teilchen besteht, ahnte er nicht, dass die Teilchen wiederum letztlich aus Quarks bestehen. Quarks ist ein von Murray Gell-Mann „erfundener“ Begriff, inspiriert durch ein Wort ohne Bedeutung in einem Satz ohne Bedeutung, nämlich „Three Quarks for Muster Mark!“ aus Finnegan Wake von James Joyce.

Um Elementarteilchen „verstehen“ zu können, muss ich die Welt aus Feldern bestehend denken, wo alles in Beziehung und in Wechselwirkung zueinander steht. Denn letztlich gibt es keine Teilchen, denn sie entstehen nur, wenn sie gebraucht werden und verschwinden dann wieder – wie ein Gedanke.

Vielleicht empfinden viele Menschen das Meer deswegen als so faszinierend, weil es ein wunderbares Bild für ein solches Feld ist, das still und ruhig und (fast) vollkommen unbewegt ist, aber auch stürmisch und gewaltig sein kann? Was bei dem Meer der Wind und die Strömung, das sind bei uns Menschen das, was wir denken und ob wir daran festhalten oder es frei fließen lassen, sowie unsere Reaktionen auf die äußeren Umstände unseres Lebens.

Die Schwierigkeit besteht nur darin, dass sich – natürlich nur in unserem Verständnis – Relativitätstheorie und Quantenmechanik scheinbar widersprechen. Noch ist es  nicht gelungen, das verbindende Element zu finden. Gehe ich andererseits von der Metapher Wasser für Geist aus, dann ist es sehr wohl verständlich, dass sich flüssiges Wasser anders verhält als Eis und wieder anderes als Wasserdampf.

Vielleicht kann es diese verbindende Beschreibung einfach deshalb noch nicht geben, weil es sich dabei um zwei unterschiedliche Aggregatzustände handelt? Mit Eis kann ich keine Nudeln kochen und auch nicht mit Wasserdampf. Also muss ich mich – natürlich metaphorisch – fragen, welchen Nutzen es haben könnte, dass Wasser unterschiedliche Aggregatzustände einnehmen kann.

Im Ch’an kommt ja die Wasser-Metapher immer wieder in vielen Gedanken über das Denken vor. Denken ist ja ein Prozess des Geistes. So sagt etwa Hui-Neng „Das wirkliche Nicht-Denken besteht darin, an alle Dinge zu denken, ohne sich von ihnen infizieren zu lassen.“

Mich mit meinen Gedanken zu infizieren lässt mein Denken starr und unbeweglich wie Eis werden. Das jedoch passiert, wenn ich mich selbst über meine Vorstellungen definiere und nicht nur beschreibe. Also sollte ich das auch mit dem Kosmos so machen, ihn „nur“ beschreiben, nicht definieren, damit ich mich selbst nicht damit infiziere.

Teilchen kommen und verschwinden wie meine Gedanken, wenn ich mich daran nicht festzuhalten suche und mich damit nicht infiziere, also sie in mein Sein zu integrieren suche. Und genau so kann ich auch die Wirklichkeit nicht „sehen“, wenn ich sie zu definieren suche.

Der Ursprung von allem

Die Realität ist nicht das, was wir wahrnehmen. Realität wirklich erfassen zu wollen, scheint ein mentaler Vorgang zu sein, nicht möglich mit meiner „normalen“ Wahrnehmung. Oder können Sie sich vorstellen, mit einer irren Geschwindigkeit durch ein gigantisch großes Weltall zu fliegen? Und dass Ihr Körper sicher nicht aus dem besteht, was man beim Hinschauen denken könnte?

Was aber ist Materie? Energie und Beziehung? Nur wo kommt das her? Und worin existiert das? Was ist der Ursprung von dem allem? Geist? Sicher etwas anderes als „mein“ Geist. Obwohl, das kann ja nicht sein, sonst würde ich ja auch nicht existieren.

Vielleicht sollte ich aufhören, mich – vielleicht unbewusst – zu fragen, was dieser „Geist“ ist, weil ich selbst dieser Geist bin, genauso wie alles Andere auch? So wie Einstein erkannte, dass Gravitation ein moduliertes Feld ist, das nicht in einem Raum (Universum) existiert, sondern das Universum ist?

Wenn ich hinaus in unseren Garten schaue, sehe ich offensichtlich nichts anderes als sich selbst modulierenden Geist, der sich auch noch selbst anschaut. Wenn ich das für verrückt halte, sollte ich mich daran erinnern, dass auch Einsteins Relativitätstheorie dem „gesunden Menschenverstand“ wie die Wahnideen eines Verrückten erscheinen – nur dass sie sich in einer Vielzahl von Versuchen wieder und wieder bestätigt hat?

Ich denke wirklich, wem die Quantenphysik nicht wie Sciencefiction anmutet, der hat sie wahrscheinlich selbst noch nicht erfasst. Die wirklich spannende Frage aber ist: Was hat das jetzt mit mir und meinem Leben zu tun? Diese Frage zu ignorieren wäre fatal, schließlich will ich ja nicht in der Vorstellung einer Welt leben, die der Wirklichkeit nicht entspricht!

Wer also von Einstein und seiner Relativitätstheorie spricht und sich dabei nicht wie in einem Sciencefiction fühlt, der hat offensichtlich noch eine Menge mentaler Überzeugungsarbeit vor sich, um sich auf die Wirklichkeit einlasse zu können, wie sie wirklich ist – und nicht wie sie zu sein scheint.

Solange ich mein Leben noch als verwirrend und auch kompliziert erlebe, habe ich es ganz offensichtlich noch nicht wirklich verstanden. Es hilft eben nicht, wenn man wie viele in meiner Jugend Einsteins Erkenntnis E = mc2 auf sein T-Shirt druckt, es aber nicht wirklich verstanden hat.

Ich habe mir gerade eine Erklärung angehört, was E = mc2 bedeutet, doch mir das auch vorzustellen – das ist eine ganz andere Hausnummer, das verlangt eine ganz andere Art zu denken. Daran sollte ich noch arbeiten, will ich mich selbst verstehen.

Darum geht es wahrscheinlich jedem, sich selbst verstehen zu können und sich nicht nur mit Erklärungen zufrieden geben, die auf Annahmen basieren, von denen wir nicht wissen, ob die tatsächlich der Wirklichkeit entsprechen – und nicht dem, was wir wahrnehmen.

Meinte das vielleicht Huang-po, als er in seinem Buch „Der Geist des Ch’an“ schrieb „Ich will mit beiden Händen loslassen. Dann werde ich gewiss Buddha in meinem Geist entdecken.“? Fällt es uns leichter, intuitiv die Wirklichkeit zu erfassen, wenn wir keine Vorstellungen mehr von ihr haben?

Ich bin hier, weil ich hier bin

Und ich schreibe, weil ich schreibe. Ich frage nicht mehr nach einem Sinn, ich mache es einfach. Jedenfalls meistens. So wie ich nicht esse, um zu leben, sondern lebe, weil ich esse.

Vielleicht ist genau das der Hintergrund von Joshu Jushins Gedanken „Verstehe deinen Geist. Schau in deine wahre Natur. Das bedeutet, denWeg nicht misszuverstehen.“? Aber um meinen (!!) Geist überhaupt richtig zu verstehen, muss ich mir bewusst sein, dass ich auch ganz anders sein könnte. Vielleicht so wie eine Rippenqualle? Wesen mit einem komplexen Nervensystem, ganz anders als unseres, eine als berüchtigt gefürchtete invasive Art, die ganze Ökosysteme zerstören kann.

Sie haben Nervenzellen, die anderes als bei uns, nicht über Synapsen verbunden sind, sondern zu einer einzelnen Riesenzelle verschmolzen sind. Es scheint so zu sein, dass diese Lebewesen (denn Tiere sind es ja nicht, also nichts, was wir darunter verstehen) ihr Nervensystem unabhängig von dem Rest der Welt entwickelt haben. Also die Überlegung, dass es Lebensformen wie die Borg geben könnte, ist gar nicht so aus der Luft gegriffen.

Es ist genau diese Frage nach dem Sinn, die in die Irre führt. Ich weiß noch, als mich ein Nachbarjunge sprachlos dastehen ließ, als er mir auf meine Frage, warum  er das, was er gerade getan hat, getan hätte, antwortete: Weil ich es kann. Frei von irgendwelchen moralischen Überlegungen.

Moral war mir von meinen Eltern als eines der wichtigen Dinge im Leben seit frühester Kindheit eingetrichtert worden, auch wenn sie selbst, wie ich heute weiß, ihre Moral mit Füßen getreten haben. Doch mittlerweile stellt sich mir die Frage, ob ein Löwe moralisch denkt, wenn er achtlos an einer Antilope vorbeigeht, weil er gerade keinen Hunger verspürt?

Nein, ein Tier braucht keine Moral. Und es ist auch nicht unmoralisch, wenn eine Katze kleine Vögel frisst, auch wenn mich das ärgert. Mich ärgern nicht die Katzen, sondern die Menschen, die in Wohngebieten freilaufende Katzen halten. Auch daran ist zu merken, dass wir Menschen wie Rippenquallen eine invasive Lebensform sind, die ein ganzes Ökosystem zerstören – und nicht nur können.

Ich finde jedenfalls, dass unsere aktuelle und auch die schon vergangene Geschichte uns einen guten Grund gibt, uns einmal Gedanken zu machen, wie wir wohl leben sollten, statt unsere Rede mit Zitaten der Aborigines oder der Indianer und andere indigener Völker zu schmücken, insgeheim aber die Ritter in ihren prunkvollen Rüstungen zu bewundern. Aber die machen schon was her, oder nicht?

Vielleicht sollten wir nicht nach einen Sinn in dem suchen, was wir tun, sondern uns lieber fragen, nicht weshalb wir tun, was wir tun, sondern was das bewirkt. Ganz existenzialistisch gedacht.

Ich denke, wie ich sehe

Mein Auge schickt keine Informationen an mein Gehirn, das dann daraus ein Bild zeichnen und das Gesehene interpretieren könnte. Tatsächlich ist es genau umgekehrt, das Gehirn schickt Informationen an das Auge, was es zu sehen erwartet.

Nur wenn die wahrgenommenen Informationen davon abweichen, sendet das Auge entsprechende Informationen an das Gehirn. Gemeldet wird also nur die Änderung, das Unerwartete. Das spart eine Menge an Informationen, geht also wesentlich schneller. Informatiker machen das auch so, wenn sie eine Bilddatei komprimieren wollen. Sie speichern die Information über die Farbänderung. Dafür sind eindeutig weniger Daten notwendig.

So macht es auch mein Auge. Nur was sich ändert, ist relevant. Entspricht alles dem Bild aus der Vergangenheit, also der Annahme meines Gehirns, kann ich mich mit etwas anderem beschäftigen. Was natürlich fatal ist, wenn gestern auch kein Auto kam, als ich aus der Garage fuhr – und ich heute unaufmerksam und unkonzentriert bin.

Alles wie immer? Das ist die Frage, die mein Gehirn permanent an die Welt um mich herum sendet. Mein Gehirn hat also aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen und meines Wissen sowie meiner Annahmen (auch Vorurteilen genannt) Erwartungen an das, was es wahrnimmt. Wenn ich also nur gezwungener Maßen auf Abweichungen von dem bisherigen Stand der Technik reagiere, um es einmal so auszudrücken, aber das Gewohnte liebe und nicht unbedingt auf Neues aus bin – dann habe ich ein ernstes Problem.

Entscheidend ist nicht, was das mir Bekannte bestätigt, sondern was meinen Erwartungen widerspricht. Was auch bedeutet, dass ich die Welt nicht falsch wahrnehme, sondern halluziniere! Und aus genau diesem Grund leibe ich die Enttäuschung meiner Erwartungen. Mit anderen Worten: Ich frage mich nicht, was an meinem Weltbild stimmt, sondern was nicht stimmt!

Merke ich, dass etwas mit einem inneren Weltbild nicht in Ordnung ist, sollte ich die Organisation meiner inneren Weltkarte zügig neu konzipieren.

Reflexion der Sprache

Wie kommt die Wirklichkeit in Sprache und Denken? Ein sprachphilosophisches Thema, das leider nicht jedermanns Sache ist. Vor allem Dialekte selbst sind ja schon Konzepte und Frames – die es einmal zu hinterfragen gilt. Was sage ich damit aus, wenn ich etwas sage – und will ich das wirklich sagen?

Sprache ist – erst einmal – nichtbewusst organisiert, eben „gelernt“. Durch diese Organisation von Konzepten und Frames organisiert wiederum die Sprache unser Denken – und damit unsere Wirklichkeit. Denn Wirklichkeit ist letztlich nicht, was ich sehe, sondern wie ich mich dazu in Beziehung setze, also was ich darüber denke – und was ich entsprechend kommuniziere.

Denke ich über mein Wertesystem nach, ist es vielleicht am einfachsten, mir meine Sprache einmal genau anzusehen. Wenn jemand einen Text „zu kompliziert“ findet, liegt das vielleicht daran, dass er nicht wirklich kompliziert zu verstehen ist, sondern „nur“ ein anderes Wertesystem als das eigene kommuniziert? Das gilt vor allem dann, wenn ich mich mit grundlegenden Gedanken und nicht nur mit seichtem Smalltalk beschäftige.

Woran aber kann ich mich orientieren, will ich meine Sprache und damit vor allem mein Denken reflektieren? Vielleicht müssen wir unserer Sprache wie Hilde Domin in dem Gedicht Linguistik zutrauen, die Fähigkeit in sich zu tragen, zum direkten Gespräch mit der Natur befähigt zu sein. Wenn wir schon lernen können, mit einem Obstbaum zu reden, wie viel leichter sollte es uns da fallen, mit anderen Menschen zu reden, wirklich zu reden!

Du mußt mit dem Obstbaum reden.

Erfinde eine neue Sprache,
die Kirschblütensprache,
Apfelblütenworte,
rosa und weiße Worte,
die der Wind
lautlos
davonträgt.

Vertraue dich dem Obstbaum an
wenn dir ein Unrecht geschieht.

Lerne zu schweigen
in der rosa
und weißen Sprache.

Vielleicht müssen wir auch eine Sprache erfinden, die das Feld der klassischen Physik, der Fragmentierung, der Trennung und der Definition zu verlassen, um in das Feld der Quantenphysik zu wechseln, um so denken zu lernen, dass wir in die Welt der Quanten eintauchen können und nicht nur den Begriff Quanten an alle möglichen Begriffe dranzuhängen.

Daher nähere ich mich dem Thema vorsichtig und kläre erst einmal die Grundfragen:

  • Welche Rolle spielt die Sprache beim Erkennen der Welt?
  • Wie bestimmt Sprache das Bewusstsein?
  • Wie funktioniert das Zusammenspiel von Sprache und Denken?
  • Wie wird die menschliche Welt durch Sprache geformt?
  • Wird durch die Sprache eine bestimmte Weltsicht vermittelt?
  • Welche Rolle spielt die Sprache bei der Art und Weise, wie wir uns ein Bild von der Wirklichkeit machen?
  • Gibt es einen Unterschied zwischen dem Erlebnis und dem Erlebnisinhalt von der Wirklichkeit?
  • Ist die Widerspiegelung der Wirklichkeit (in Sprache und Denken) etwas anderes, als die Wirklichkeit selber?

Sich mit den Gedanken von Laurent Verycken oder anderen zu beschäftigen ist da sehr hilfreich, um das Bewusstsein für die Bedeutung der Sprache zu schärfen. Das deckt die eigenen Konzepte und Frames auf – und was kann mir besseres passieren als das?

Was weiß ich wirklich?

Halbwissen ist bequem. Da kann man sich schnell in ein Gespräch einklinken, hat was zu sagen. Aus einem Pott von Fakten, persönlichen Meinungen und Erfahrungen wird oft resümiert, was einem in den Kram passt. Ein Hinterfragen am Stammtisch ist nervig oder vielleicht nur peinlich und schon wird Halbwissen zur Regel erhoben. Demokratisch korrekt und persönlich legitim.

So hat „man“ mir beigebracht, nur mit der Vorderradbremse zu bremsen. Und um Himmelswillen nie in der Kurve bremsen! Was aus technischer Sicht Schwachsinn ist; nur sollte ich dabei vielleicht eher an die Hinterradbremse und nicht an die Vorderradbremse denken. Denn beide Bremsen wirken sich entgegengesetzt auf die Schräglage aus. Aber das muss man erst einmal wissen.

Fazit: Halbwissen kann gefährlich sein. Also doch die sokratischen Siebe konsequent auf die eigenen Rede anwenden? Ist etwas weder gut noch notwendig noch wahr, dann sollte ich  keine Energie darauf verschwenden und lieber schweigen.

Die Schwierigkeit ist dabei nur, einigermaßen sicher davon ausgehen zu können, dass das, was ich denke, auch tatsächlich wahr ist. Oder sollte ich besser davon ausgehen, dass es wirklich, aber nicht unbedingt wahr ist? Es ist nämlich ein prächtiges Paradox.

Wir leben in einer probabilistischen Welt, die jedoch alles andere als beliebig ist. Andererseits ist Beliebigkeit eine perfekte Art, um all die Wahrscheinlichkeiten nicht erörtern zu müssen – man lässt die getroffene Aussage einfach so stehen, selbst wenn sie fragwürdig ist.

Daher würde ich das obige Fazit etwas abändern wollen: Halbwissen ist gefährlich. Daher ist auch der Dialog die einzige wirklich kluge Art miteinander zu kommunizieren, denn er blendet nichts aus. Was ihn vielleicht für den einen oder anderen so anstrengend erscheinen lässt.

Nur so kann ich die Annahmen und Bewertungen erkennen, die hinter den geäußerten Meinungen stehen, was mich dem eigentlichen Ziel des Dialogs näher bringt, nämlich Gemeinsamkeiten zu erkennen oder auch etwas Neues und ganz Anderes zu entwickeln.

Bestimmt, jedoch nicht festgelegt!

Das ist meine Lebensphilosophie, die von anderen oft als Arroganz missverstanden wird, glaube ich doch nur, was ich selbst erkannt habe. Und was ich für mich erkannt habe, ist für mich auch definitiv so. Bis ich etwas anderes erkenne.

Was Menschen, die sich lieber führen lassen, offensichtlich nicht verstehen können. Was wiederum ich nicht verstehen kann ist, weshalb man sich dann nicht auf die dialogische Suche nach Wahrheit macht, was natürlich bedeutet, den anderen verstehen zu wollen. Was mich zu dem Verhältnis von Dogmatismus und Dynamik bringt.

Eine interessante Frage, die Alexander Alexandrowitsch Malinowski, besser bekannt unter seinen Pseudonym „Bogdanow“, von Beruf Arzt, ein russischer Philosoph, Ökonom, Soziologe und Verfasser utopischer Romane aufgeworfen hat: Verkennt ein ideologischer Dogmatismus nicht nur die Dynamik des wissenschaftlichen Denkens, sondern führt er nicht auch zu einem politischen Dogmatismus?

Und stimmt, wovon Karl Marx ausging, dass die Wirtschaftsstruktur unser Denken bestimmt? Für mich wirf das eine ganz andere Frage auf: Was bedingt einerseits mein Denken aktuell und was sollte andererseits mein Denken korrekterweise bedingen? Ist es letztlich mein inneres Weltbild, das mein Denken bestimmt? Denn das würde erklären, warum ich denke, wie ich denke und es würde auch zeigen, wie ich denken sollte.

Wahrscheinlich (oder sicher) ist die Wirklichkeit komplizierter als der naive Materialismus der Physik des 18. Jahrhunderts. Die Welt in Materie und Geist zu trennen ist kaum die Lösung, jedenfalls nicht in meiner Vorstellung. So zu denken beantwortet die Fragen nicht, die uns heute beschäftigen.

Mit anderen Worten: Wir haben noch keine wirkliche Alternative zu dem ideologischen Dogmatismus, der die Dynamik des Lebendigen ausblendet. Und ja, wir haben es gerne klar und geordnet, doch wir mögen keine Dynamiken, die wir nicht vorausschauen oder zumindest einigermaßen planen können.

Wenn wir, wie es etwa Bogdanow gedacht hat, Macht und Kultur dem Volk überlassen sollten, was meinem Denken sehr nahe kommt, denn ich bin ein Verfechter des Anarchismus, so haben wir doch ein Problem, unabhängig davon, dass die Menschen erst einmal wie Bogdanow denken können müssten, damit seine Ideen überhaupt gelebt werden können.

Das Problem ist der radikale Konstruktivismus, der in unserer das Denken prägenden Sprache steckt. Aber vielleicht ist das gar kein „Problem“, sondern nur unsere Art damit umzugehen? Während im radikalen Konstruktivismus die menschliche Fähigkeit, objektive Realität zu erkennen, mit der Begründung bestritten wird, dass jeder Einzelne sich seine Wirklichkeit im eigenen Kopf „konstruiert“, glauben Anhänger des Erlanger Konstruktivismus an eine gemeinsame Konstruktionsweise, dass es also mit Hilfe einer besonderen Sprach- und Wissenschaftsmethodik möglich sei, „das naive Vorfinden der Welt“ zu überwinden und durch „methodische Erkenntnis- und Wissenschaftskonstruktion“ zu ersetzen.

Was aber, wenn es eine „objektive Realität“ überhaupt nicht gibt, nicht geben kann und insofern beide Sichtweisen unzulänglich sind? Da bin ich dann wieder bei Bogdanow, dessen zentrales Konzept seiner theoretischen Überlegungen der Begriff der Organisation war. So wie soziales Leben die Organisation kollektiver Arbeit ist, ist Wissen die Organisation von Erfahrungen und Begriffen.

Bogdanows Weltbild ist eine Stufenleiter immer komplexer werdender Organisationsformen. Doch was ist das ursprüngliche Fraktal? Wahrscheinlich ganz einfach, dass all dem keine Organisationsform zugrunde liegt, sondern sich alles offen und frei entwickelt. Deswegen sieht eine Rose auch anders aus als eine Tulpe und ein Pferd anders als ich. Das, was die moderne Physik beschreibt, definiert nichts, aber es ermöglicht es.

Absolute und relative Wirklichkeit

Das ist nicht immer leicht zu differenzieren. Aber sicher nicht voneinander zu trennen, den beides ist definitiv nicht getrennt. Die Frage ist, welche Landkarte ich von der Welt habe, nach der ich mich in der Welt bewege?

Die Frage danach, was absolute und was relative Wirklichkeit ist und wie sie zueinander stehen unterscheidet sich danach, von welchem Weltbild ich ausgehe. Für mich ist das ganz klar die (quanten-) physikalische Sicht auf die Wirklichkeit.

Bedeutsam und nicht nur interessant ist, dass Ernst Mach nicht nur Albert Einstein beeinflusste, der sich ausführlich mit seinen Gedanken befasst hat. Auch Wolfgang Pauli und Werner Heisenberg waren von Mach beeinflusst. Für ihn deuteten die Erkenntnisse der Wissenschaften darauf hin, dass die Vorstellung von ‚Materie‘ eine ungerechtfertigte metaphysische Annahme sei, ein kurzfristig nützliches Modell, aus dem man den Ausstieg lernen müsse, damit es nicht zum metaphysischen Vorurteil werde.

Mach verlagerte die Aufmerksamkeit erneut direkt auf die unmittelbare Erfahrung. So gesehen ist Wissenschaft die Suche nach einer effizienteren Organisation der eigenen Erfahrung, um daraus zu schlüssigen Erkenntnissen zu gelangen.

Meine ‚Erfahrung‘ sagt mir, dass das, wozu ich keine Beziehung habe, für mich schlechtweg nicht existiert. Daher finde ich Gerede über Dinge, die ich selbst nicht erfahren kann, als Schaumschlägerei, zwar gut, um Stimmung zu machen, doch zu nichts nutze.

Daher ist die absolute Wirklichkeit, wie man im Ch’an sagt, leer, nur was ich erfahre, existiert – für mich. Ob und wenn ja wie es für einen anderen existiert, kann ich nicht wissen. Nur bedeutet das nicht, dass für mich in oder mit der relativen Wirklichkeit Schluss wäre.

Meine Erfahrung ist, dass ich und der Kosmos eins sind, nur erklären kann ich das noch nicht. Nur eine Empfindung. Die ich aber verifizieren muss, will ich sie als gültig in mein Weltbild integrieren. Der Gedanke eines Physikers, dessen Namen ich nicht mehr weiß, bringt mich da vielleicht weiter. Im Bewusstsein der physikalischen Tatsache, dass die Atome, aus denen er selbst besteht, mit allen anderen Atomen des Kosmos schon verschränkt waren oder vielleicht immer noch sind, lies ihn sich eins mit dem Kosmos fühlen.

Eine Erfahrung, die mir noch fehlt. Oder vielleicht auch nicht. Was ich damit sagen will ist, dass es mehr über die absolute und die relative Wirklichkeit nicht zu sagen gibt. Ich brauche mich nur vor mystizistisch en Anwandlungen zu hüten – die eigentliche Herausforderung.

Was ist wirklich wirklich?

Den Quantenphysikern, vor allem Werner Heisenberg und seinem Heuschnupfen, haben wir es zu verdanken, dass unsere naive Vorstellung von der Wirklichkeit in Trümmern liegt. Was nicht ja nicht unbedingt das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Das feste Gewebe der Wirklichkeit – so wie wir dachten, dass Wirklichkeit sei – zerrinnt uns zwischen unseren Gedanken in einer unendlichen Regression von Bezügen, Wahrscheinlichkeiten.

So wie es den Strand nicht gibt, auf dem ich im Urlaub gelaufen bin, sondern nur sehr, sehr viele Sandkörner, so gibt es auch die Wirklichkeit nicht, die ich immer zu sehen glaubte. In Wirklichkeit gibt es die Wirklichkeit nicht, sondern nur ein Unmenge an Teilchen, die es, will man sie genau untersuchen, dann wieder auch nicht gibt.

Gewöhnlich betrachten wir die Welt auf großen Skalen, sehen nur die Oberfläche, und deswegen sehen wir das Eigentliche nicht. Aber wir können es erleben, wenn wir uns von unseren fixen Vorstellungen und Überzeugungen trennen, was wir bisher (also die meisten von uns) für die Wirklichkeit gehalten haben.

Dann betrachte ich den Baum vielleicht nicht mehr, den ich das ganz Jahr über von meinem Schreibtisch aus sehe, sondern kommuniziere mit ihn. Erwin Schrödinger, eben Wissenschaftler, hat dafür eine ganz pragmatische Art parat:

Der Grund dafür, daß unser fühlendes wahrnehmendes und denkendes Ich in unserem naturwissenschaftlichen Weltbild nirgends auftritt, kann leicht in fünf Worten ausgedrückt werden: Es ist selbst dieses Weltbild. Es ist mit dem Ganzen identisch und kann deshalb nicht als ein Teil darin enthalten sein.

Worüber ich schweigen sollte

Erleuchtung lässt sich nicht erlangen,
Und der sie findet, sagt nicht, dass er weiß.

Huang-po

Klingt paradox, ist es aber nicht, denn ‚Erleuchtung‘, was immer das auch ist, lässt sich nicht erlangen. So wie ich auch Bewusstheit nicht ‚erlangen‘ kann. Plötzlich wird mir etwas bewusst, was es vorher nicht war, doch erlangen kann ich es nicht, ich kann es nicht willentlich herstellen.

Ich kann zwar die Rahmenbedingungen herstellen, die fehlende Bewusstheit für ein Thema herzustellen vermögen, es ist aber nur eine Möglichkeit, nicht mehr. Und wenn mir etwas bewusst geworden ist, etwa dass alles das in sich differenzierte Eine ist, dann spreche ich darüber schon.

Aber ich sage ja nicht, dass ich deswegen wüsste, was Bewusstheit ist, das weiß ich nämlich immer noch nicht, auch wenn mir immer wieder etwas bewusst geworden ist. Darüber kann ich nur spekulieren; und Spekulatius mag ich selbst an Weihnachten nicht.

Dass ich zwar Bewusstheit finden, aber nicht erlangen kann, bedeutet ja nicht, dass ich dann wüsste, was Bewusstheit ‚eigentlich‘ ist. Vielleicht ist es mit ‚Erleuchtung‘ auch so? Erfahrbar, aber nicht zu definieren? Also sollte ich darüber nicht sprechen.

Denn was ich nicht definieren kann, darüber kann ich ja auch nicht reden. Außer, ich bediene mich einer mystischen Sprache. Die Sprache von Huang-po wie auch die von Hui neng oder Krishnamurti finde ich alles andere als mystisch, sondern sehr präzise. Wahrscheinlich mag ich die drei deswegen so sehr.

Die Schwierigkeit ist nur, dass es – zumindest mir ging es so – zu Beginn ziemlich kompliziert erscheint, was die drei da so gesagt haben. Aber sie denken alles andere als kompliziert, sondern ‚nur‘ komplex.

Der stille Teilhaber

Weil wir uns vielfach als reine Individualisten fühlen – aber tatsächlich nicht sind –, entgeht uns leicht ein stiller Entscheidungsteilhaber. Als Jugendlicher dachte ich immer, ich würde mich total individuell kleiden, dabei sah ich aus wie alle anderen auch. Und weshalb sollte ich nicht Röcke tragen? Machen Frauen doch auch! Oder Schotten!

Ich fühle mich als Individualist, bin aber doch ein Massenmensch, wie sich leicht an den Laufwegen von Fußgängern oder an politischen Entscheidungen erkennen lässt. Auch wir Menschen haben typisches Schwarmverhalten, nur sind wir derart von unserer individuellen Unabhängigkeit überzeugt, dass wir nicht merken, wie wir der Masse folgen.

Das Schwarmverhalten ist leicht zu beschreiben, nur wie das genau funktioniert, das lässt sich nur ahnen. Dabei ist es ein nicht zu leugnender Fakt. Der Einzelne orientiert sich an seinen direkten Nachbarn und achtet darauf, dass er mit denen nicht kollidiert. Aber da ist noch etwas Drittes. Es ist wie bei der Verschränkung.

Denn nicht nur einzelne Teilchen sind – wie etwa in einem Versuch – verschränkt, sondern wie Rovelli in seinem Buch Helgoland beschreibt, wohl alles. In den Versuchen wird es nur sichtbar. Verschränkung ist kein Tanz wischen zwei Teilchen, sondern ein Tanz mit einem in der Regel unbekannten Dritten oder Etwas, der oder das mit dem imaginenten Dirigier- oder Dirigentenstab die Richtung vorgibt, ein Tanz zu dritt.

Manchmal ist das tatsächlich ein Wer, manchmal aber auch ein nicht personalisiertes Was, eine gemeinsame Idee, eine Faszination oder auch die kollektive Angst vor einem Angriff, die dieses ‚Dritte‘ in Erscheinung treten lässt. Doch solange uns das nicht bewusst ist, macht uns der Einfluss des Kollektivs zu regelrechten fremdgesteuerten Robotern, wodurch wir unsere eigentlich vorhandene Entscheidungsfähigkeit aufgeben.

Meine Entscheidung

Niemand kann mir sagen, wie oder was ich zu entscheiden habe, auch wenn ich in die Strukturen meines Denkens eingebunden bin. Ganz schön paradox. Ich folge ja in dem, was ich tue, zumindest wenn ich spontan handle, immer meinen Denkstrukturen wie den mir zur Verfügung stehenden und von mir zumindest nicht weiter hinterfragten und für richtig gehaltenen Informationen.

Mein implizites Wissen ist also meine Entscheidungsgrundlage. Wie ich mich entscheide, das bestimmt sie. Für mich selbst bin ich also festgelegt, im Verhältnis zu anderen nicht, denn sie wissen ja kaum etwas über mein implizites Wissen, das können sie allenfalls vermuten.

Ich bin also für einen Anderen frei in meiner Entscheidung, nicht aber für mich, da bin ich in meinen Denkstrukturen gebunden. Bei einer zu treffenden Entscheidung denke ich nicht nach, da schöpfe ich sozusagen aus meinem Fundus. Also sollte ich immer wieder überprüfen, ob das, was ich da aufbewahre, auch aktuell ist und meinen aktuellen Interessen entspricht. Das ist nämlich nicht selbstverständlich!

Daher such ich meinen Status immer aktuell zu halten und auf den neuesten Stand meiner Erkenntnis zu bringen. Entscheidend ist nämlich nicht, was ich weiß, sondern was ich erfahren, erkannt und dann auch wirklich zu implizitem Wissen gemacht habe. Der letzte Punkt, das Integrieren, habe ich oft regelrecht ignoriert, so nach dem Motto, dass ich das ja wüsste – nur ich konnte es nicht anwenden.

Sprechen wir über korrektes Denken, sprechen wir über Denken durch NichtDenken. Und das braucht Ausrichtung, Achtsamkeit, Konzentration und Ernsthaftigkeit und sicher keine Ablenkung. Kann ich bei vermeintlich einfachen Dingen ausprobieren, etwa beim Kochen. Bin ich abgelenkt und unkonzentriert, schmeckt es entsprechend.

Bin ich bei dem, was ich tue ausgerichtet, achtsam, konzentriert und ernsthaft bei der Sache, dann gelingt es, sofern ich vorher das „richtige“ Wissen verinnerlicht habe. Fehlt eines dieser Elemente, gelingt es nicht. Doch da es immer meine Entscheidung ist, kann das sehr problematisch für mich und andere werden.

Mich in diesem inneren Sinne vollkommen frei entscheiden kann ich nur in extrem seltenen Fällen, nämlich wenn keine Informationen und Anweisungen da sind, sondern nur Ausrichtung, Achtsamkeit, Konzentration und Ernsthaftigkeit, aber kein Wissen und keine Informationen. Aber ich bin auch dann immer frei und nicht gebunden, wenn ich mich jeglicher Bewertung und Beurteilung enthalte. Was ja letztlich zum Denken durch Nichtdenken gehört.

Das ist der einzige Moment, in dem wirklich Neues entstehen kann. Mein implizites Wissen und die zur Verfügung stehenden Informationen befinden sich dann in einem indifferenten Zustand wie Schrödingers Katze, ich bin nicht festgelegt. Meine Freiheit ist also nicht absolut, sondern durch mein implizites Wissen begrenzt.

Denken durch NichtDenken

Was ich nicht denken kann, gibt es für mich nicht, kann es nicht geben. Doch wie soll das gehen, wenn ich NichtDenken soll? Das ist definitiv ein Problem. Wie löse ich dieses Problem? Indem ich es bewusst mache, denn dann ist es kein Problem mehr. Dann kann ich Regeln lernen, um mich nicht mehr an Regeln halten zu müssen.

Regeln sind nicht absolut, sondern nur Gehilfen, die ich so verinnerlichen sollte, dass ich sie letztlich übersteigen kann. Und das ist bei allem so, etwa dem Motorradfahren. Denke ich noch über die Regeln nach, also die optimale Streckenführung, fliege ich aus der Kurve oder fahre unsicher. Kenne ich die Regeln nicht, dann auch. Also muss ich sie kennen und verinnerlicht haben, um sie anwenden zu können, ich also nicht mehr über sie nachdenken muss. Dann kann ich gut Motorrad fahren.

Die spannende Frage ist: Warum mache ich das nicht einfach immer? Ganz einfach, weil das „Problem“ nicht in den Regeln steckt, sondern in etwas ganz anderem, etwas, das mich daran hindert, mich auf die Regeln einzulassen. Immer dann,  wenn ich unkonzentriert und unachtsam bin, merke ich hinterher, dass ich mich vermeintlich nicht mehr an Regeln gehalten habe. Doch tatsächlich habe ich einfach nicht mehr gesehen, was ist.

Etwas zu sehen heißt ja, es wahrzunehmen, und wahrnehmen kann ich nur, was ich auch denken kann, jedoch nicht durch Nachdenken, sondern durch Denken durch NichtDenken. Bin ich aber unaufmerksam und unkonzentriert, denke ich über etwas anderes nach – und da ist dann kein Platz mehr für Denken durch Nichtdenken.

Bewusstheit durch Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Konzentration sind die Bedingung für dieser Art des Denkens. Denken durch NichtDenken klingt so einfach, doch bevor ich etwas überhaupt verinnerlichen kann, muss ich erst einmal denken können. Also Denken und dann wieder „vergessen“, was ich tue, wenn ich es wirklich verinnerlicht habe.

Dann (!!) ist es so, wie Baozhi sagt: „Der ungezwungene, große Weg ist natürlich und spontan; du brauchst nicht deinen unterscheidenden Geist zu benutzen, um ihn zu erkennen.“ Doch vorher muss ich mich aus all meinen Konzepten verabschiedet haben. Das geht nicht von heute auf morgen, aber jedes Konzept, das mir bewusst wird, kann ich aufgeben.

Handle, als ob du der Handelnde wärest mit dem Wissen, dass du nicht der Handelnde bist.  So zu denken, wenn mir ein Gedanke bewusst wird ist alles, was ich dann noch brauche.

Die Suche nach dem Paradies

Die stille Sehnsucht vieler Menschen? Das ist blöd, denn das verhindert zu sehen, was ist. Es gibt in unserer Empfindung ganz klar gut und schlecht. So wollen wir lieber leben und nicht sterben. Jedenfalls mir geht es so. Doch ich weiß auch, würden nicht ständig Zellen in mir sterben und neue entstehen – in dieser Reihenfolge – dann würde ich als Ganzes nicht leben können.

Betrachte ich nur die Zelle und sehe ich nur zu leben als ‚gut‘ an, würde ich alles tun, um als Zelle nicht zu sterben – und damit das Weiterleben eines Organs verhindern. Aus der Perspektive der Zelle definiert sich was ‚gut’ ist anders als aus der Perspektive des Organs, denn aus seiner Sicht ist es ‚gut‘ wenn die Zellen nur eine bestimmte Lebenszeit haben und dann sterben – um Platz zu machen für neue.

Was also gut oder schlecht ist, ist eine Frage der Perspektive, nicht zu verwechseln mit gut oder böse. Das ist eine ganz andere Hausnummer. Sehen wir jedoch gut und schlecht aus der falschen Perspektive, wandelt es sich in unserem Denken leicht zu gut und böse – und umgekehrt!

Was ist also gut? Und was ist böse? Zuerst einmal sollten wir das nicht emotional und auch nicht ethisch beantworten, sondern ganz sachlich. Also Zellen müssen nach einer gewissen Zeit sterben. Ok.  Auch wir Menschen müssen irgendwann der Erneuerung Platz machen. Auch ok, damit diene ich ja dem Leben, das mehr ist als ich. Und das ist nicht nur ein räumliches Platzproblem.

Wo kommt eigentlich dieses Bild von einem Paradies her? Es ist eine Geschichte, eine Geschichte über Unwissenheit und dem Prinzip der Macht, denn ein Schöpfer hat die Macht zu erschaffen und damit logischerweise auch die Macht wieder zu zerstören. Doch sind wir nicht auch Schöpfer und haben damit gleichermaßen die Macht zu gestalten oder eben zu zerstören? Und sind wir nicht auch unwissend wie Adam und Eva?

Will ich also in meinem Tun wirklich „gut“ sein, muss ich den Schleier der Unwissenheit beseitigen. Nicht die Sehnsucht nach dem Gut-Sein bringt mich weiter, sondern der Erwerb von Wissen, um den Sumpf (ist vielleicht besser als von Schleier zu sprechen) der Unwissenheit trocken zu legen, dann kann ich nicht mehr darin versinken.

Dann würde ich wohl nur noch das „Gute“ tun, aber allein aus dem Grund, weil ich es nicht mehr vergöttere und nicht mehr an ihm hänge als an dem „Bösen“.  Das Böse nicht zu verdammen heißt ja nicht, nichts dagegen zu tun!

All das sind viele Gründe, neugierig zu sein und nach Erkenntnis zu streben, ist doch eine wichtige Erkenntnis die Erkenntnis der eigenen Unwissenheit und der Sehnsucht, diese zu überwinden – statt sich nach dem Paradies zu sehnen.

Im Ch’an heißt es, dass der vollkommene Weg keine Schwierigkeit kennt  – weil derjenige, der den Weg geht, sich jeder Vorliebe enthält. Das ist wirklich so, denn habe ich verinnerlicht, was ich brauche, um das Richtige tun zu können, mache ich mir keine Gedanken über Gut oder Böse, ich handle – und zwar richtig!

Es geht ja nicht um die Richtigkeit des Ergebnisses, sondern die Richtigkeit und Stimmigkeit des meinem Handeln zugrunde liegenden Denkens.

Der Atem des Kosmos

Der hat zwei Aspekte, die leider leicht übersehen werden. Denkt man an den Atem, denkt man in der Regel positiv, etwa an das befreiende Gefühl des Einatmens und wohl kaum an das beengende Gefühl des Ausatmens. Doch das Eine ist nicht ohne das ihm Entgegenstehende und Auslösende.

Der vollständige Einatem löst den Ausatem aus, so wie der vollständige Ausatem den Einatem auslöst. Erst, wenn das eine ganz geschehen ist, ist die Voraussetzung für das Andere gegeben. Was mit dem Yin-Yang-Symbol nur unvollständig ausgedrückt wird, wird wesentlich stimmiger und vollständiger mit dem Symbol des T’ai-ki dargestellt, das auch das umfassende Tao, das versöhnende Prinzip enthält.

Viele Menschen sind es aus der Kultur der Fragmentierung heraus gewohnt, den einheitlichen Prozess in einen angenehmen Aspekt und sein Gegenüber zu differenzieren und zu trennen, wie etwa weiblich oder männlich, was im gewöhnlichen Verständnis leicht missverstanden werden kann, denn im Einen ist  das Andere notwendig vorhanden und nicht nur angelegt.

Werden diese scheinbar gegensätzlichen Aspekte nicht unter einem versöhnenden Aspekt wahrgenommen, können sie nicht gesehen und auch nicht verstanden werden. Es ist nicht etwa so, dass das Eine aus dem Anderen hervorgeht, denn tatsächlich ist es Eins, zwar nur differenziert und nur voneinander getrennt wahrnehmbar, aber doch Eins.

So wie der Lebensatem aus Ein- und Ausatem besteht, die sich eben nicht bedingen, sondern ein einheitlicher Prozess sind, so sind auch das Hervorbringen und das Auflösen des Gewordenen die zwei Aspekte eines einheitlichen Prozesses. Das Leben hat im Tod keinen Gegenspieler, sondern seine Erfüllung, seine Vollendung.

Sobald nicht mehr der einheitliche Prozess wahrgenommen wird, sondern seine Aspekte umgedeutet werden, die Einheit des Prozesses in Teile fragmentiert und getrennt gesehen werden und der Prozess als solcher damit letztlich negiert und gedanklich ausgeblendet wird, entsteht der Eindruck, es gäbe etwa gut und böse.

Dem versuchen viele dadurch zu begegnen, indem sie das Gute zu fördern und das Böse zu vermeiden suchen – statt wieder das versöhnende Prinzip der Einheit ins Spiel zu bringen und der Gesamtheit allen Seins gewahr zu werden.

Die Bedeutung meiner Gefühle

Meine Gefühle entscheiden, wie ich drauf bin, doch mein Wissen entscheidet über meine Gefühle. Ich war heute in der Klinik, zur Kontrolle. Vor kurzem hatte ich eine Blutung in einem Auge. Ich hatte mich schon dran gewöhnt, schlechter als bisher zu sehen und war bereit, mich damit abzufinden.

Doch heute passierte ein regelrechtes Wunder. Der Arzt sagte mir heute, dass mein Auge wesentlich besser geworden ist – und was passierte? Schlagartig konnte ich besser sehen. Was aber unlogisch ist, denn ich konnte ja eigentlich davor genauso gut oder schlecht sehen wie danach.

Was also war anders? Ganz einfach, die Empfindung des Wahrgenommenen – und nicht des Gesehenen. Denn sehen kann ich auch (fast) ohne Hirn, doch etwas wahrnehmen kann ich nur durch das Hirn, also einen Denkprozess. Und der wird nicht durch Gefühle gesteuert, die Gefühle sagen mir, wie ich empfinde, was ich gesehen habe.

Das wiederum bedeutet, dass zwischen sehen und wahrnehmen noch etwas anderes mitspielt – die Interpretation des Gesehenen, ohne die ich ja nichts sehen könnte. Nicht so sicher bin ich, ob auf die sachliche Interpretation erst noch eine emotionale folgt. Aber, wie gesagt, da bin ich mir nicht sicher, denn das bedeutet ja nicht, dass die Interpretation korrekt sein muss.

Es kann ja sein, dass ich (relativ) schlechter sehen konnte, weil ich die unzutreffende Information abgespeichert hatte (ich hatte mich damit abgefunden, schlecht zu sehen). Ich jedenfalls tendiere dazu anzunehmen, dass eine unzutreffende oder einfach fehlende Information meine Gefühle ausgelöst hat.

Höre ich etwa das scheppernde Geräusch einer Blechdose und ärgere mich, weil da jemand einen solchen Krach macht und drehe ich mich dann um, schaue hin und fange sofort an zu grinsen – weil ich ein kleines Kind mit der Dose spielen sehe. Also ich würde sagen, die im Gehirn abgespeicherte beziehungsweise zur Verfügung stehende Information macht den Unterschied – nicht die Gefühle oder Emotionen. Die machen es nur für mich (und andere) erlebbar.

Man erkennt es – oder nicht

Es gibt Dinge im Leben, die man nicht lernen kann, man muss sie erkennen. Ich weiß noch, als wir einmal mit Freunden in der Toscana waren, im Herbst, war ich wie aus dem Häuschen und fotografierte wie wild herum, weil ich etwas sah, was andere vielleicht nicht sahen.

Es war, als offenbarte mir die Toscana ihre Seele, und die sah ich auch auf den Bildern. Ich weiß nicht, ob andere sie auch sehen können, sie sagen vielleicht ‚Oh, das ist aber schön‘, aber die Seele der Toscana ist nicht ‚schön’, sie ist unbeschreiblich. Doch man kann sie sehen, und ich sehe sie immer wieder oder werde immer wieder daran erinnert, wenn ich mir heute die Bilder anschaue.

Es geht nicht um das Vorder-, sondern das Hintergründige, das Unaussprechliche, aber Erfahrbare – wenn man dafür einen Blick hat. Oder nehmen Sie die Bilder von Bernd Kolb, Bilder, die in Wirklichkeit keine Menschen zeigen, sondern eine Reise in das eigene Ich sind. Meine Frau und ich sind nach dem Urlaub extra nach Berlin gefahren, um diese Bilder anzuschauen, Danach haben wir eine ganze Weile nicht mehr geredet, weil jedes Wort nur seicht gewesen wäre und nicht hätte wiedergeben können, was die Bilder uns erfahren ließen – und nicht nur darstellten oder zeigten.

So ist es bei vielem. Wir sehen nur das Oberflächliche, nicht aber das Hintergründige, Unaussprechliche. Es ist die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, das wirklich Wirkliche, das, was sich einem offenbart, wenn man bereit ist, die Welt als Beziehung nicht nur zu denken, sondern zu sehen und auch so zu erfahren.

Das ist etwas, was kleine Kinder ganz einfach können, und das ist auch die Sehnsucht, die in allen ‚erwachsenen’ Menschen ist, die Sehnsucht nach sich selbst. Doch wir haben diese Sehnsucht in unserem alltäglichen Leben derart zugeschüttet, dass viele Menschen ihre eigene Sehnsucht nicht mehr wahrnehmen und noch weniger sie leben können.

Man könnte denken, dass das ein Privileg derjenigen ist, die sich keine Gedanken (mehr) um irgendetwas machen müssen, sondern einfach ‚nur‘ leben, eben wie kleine Kinder. Aber wird nicht der erwachte Geist im Ch’an mit dem Gesicht eines Kindes dargestellt, aber mit dem langen, weißen Haar des alten Weisen? Weil, jedenfalls ist das meine Vermutung, erkennen wir ohne Wissen nicht, wo wir feststecken und können deswegen auch nicht zurück in den Zustand der Kinder kommen.

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